Wohlstand für Alle: Ep. 313: Der wichtigste Tech-Konzern, den niemand kennt

Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt enthüllen in "Wohlstand für Alle", wie Cloudflare zur digitalen Achillesferse Europas wurde.

Wohlstand für Alle
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Die Folge "Die unheimliche Macht von Cloudflare" beleuchtet das kaum bekannte Tech-Unternehmen Cloudflare, das laut Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt als Content Delivery Network 20 % aller Websites weltweit betreibe. Die beiden diskutieren, wie aus einer ursprünglich auf Spambekämpfung fokussierten Firma mit nur wenigen hundert Millionen Dollar Startkapital eine Schlüsselinfrastruktur des Internets geworden sei, die bei Ausfall Flugzeuge am Boden halten und Kassen lahmlegen könne. Sie kritisieren die europäische Politik, die trotz aller Souveränitätsdebatten diese kritische Infrastruktur einem US-Unternehmen überlasse, das sich politisch instrumentalisieren lasse – etwa durch Sanktionen gegen russische Kunden. Besonders brisant wird die Situation durch Cloudflares neue "Pay-per-Crawl"-Funktion, die KI-Anbieter zahlen lässt, wenn deren Crawler Webinhalte scannen – was die Gatekeeper-Funktion des Unternehmens im KI-Zeitalter weiter verstärke. ### Cloudflare kontrolliere laut eigenen Angaben kritische Infrastruktur Matthew Prince habe gegenüber der SZ erklärt: "Wenn wir ausfallen, dann gibt es Flugzeuge, die nicht landen können, weil Navigationsdienste uns nutzen. Jede Menge Kassen würden nicht funktionieren und viele Banken hätten Probleme." ### Die EU habe verschlafene Chancen bei digitaler Souveränität Die Moderatoren monieren, mit "einer Summe, die einen Bruchteil der deutschen jährlichen Rüstungsausgaben bedeutet, hätte man Content Delivery Networks für alle anbieten können" – stattdessen sei man auf ein US-Unternehmen angewiesen. ### Cloudflare könnte zur politischen Waffe werden Die Diskussion um mögliche politische Einflussnahme führt zu der Frage: "Was passiert eigentlich? Wenn die Trump-Administration Cloudflare zwingt, die Netzneutralität aufzugeben und gewisse Inhalte zu spähern oder wenn plötzlich Latenzen entstehen, mit denen man Konkurrenten oder bestimmten Unternehmen schadet." ### Neue Pay-per-Crawl-Funktion verstärke Gatekeeper-Rolle Cloudflare teste laut eigenen Angaben ein System, bei dem "Content-Ersteller die Kontrolle darüber haben, wer auf ihre Werke zugreifen kann" – was die Macht des Unternehmens über Informationsflüsse im KI-Zeitalter weiter vergrößere. ### EU-Projekt GaiaX als gescheitertes Gegenmodell Die Moderatoren bezeichnen das europäische Cloud-Projekt GaiaX als "mit Governance kämpfend" und halten es für strukturell unfähig, Cloudflare-Konkurrenten hervorzubringen. ## Einordnung Die Episode zeigt eine bemerkenswerte Mischung aus fundierter Recherche und pointierter Kritik an europäischer Digitalpolitik. Nymoen und Schmitt gelingt es, ein hochkomplexes Thema – die Infrastrukturabhängigkeit Europas von US-Techkonzernen – anschaulich zu vermitteln, ohne in Technikfetischismus zu verfallen. Besonders stark ist ihre Fähigkeit, systemische Machtverhältnisse sichtbar zu machen: Sie zeigen, wie politische Entscheidungen (oder deren Ausbleiben) zu Abhängigkeiten führen, die weit über reine Wirtschaftsfragen hinausgehen. Die rhetorische Strategie, Cloudflare mit dem deutschen Mautdesaster zu vergleichen, veranschaulicht eindrucksvoll die vermeintliche Prioritätenverschiebung in der Politik. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass die Moderatoren gelegentlich in zu allgemeine Anti-EU-Ressentiments verfallen und dabei die tatsächlichen Gründe für Europas Zurückhaltung bei Tech-Investitionen (Datenschutz, Föderalismus, Demokratieprinzipien) zu kurz kommen. Die Perspektive bleibt dabei klar westlich-zentriert – globale Südperspektiven auf digitale Souveränität fehlen völlig. Dennoch liefert die Folge eine wichtige Denkanstöße für die Debatte um europäische digitale Autonomie.