Der Rest ist Geschichte: Josef Stalin - Er ist wieder da
Die Deutschlandfunk-Folge erklärt, warum Stalin in Russland wieder verehrt wird und welche politischen Strategien dahinterstecken.
Der Rest ist Geschichte
46 min read2864 min audioDer Deutschlandfunk-Podcast "Der Rest ist Geschichte" widmet sich in der Folge "Lange her, aber nicht vorbei: Der Stalin-Kult in Putin-Russland" der Rückkehr von Josef Stalin ins kollektive Gedächtnis Russlands. Moderator Jörg Biesler spricht mit der Historikerin Irina Scherbakowa und dem Osteuropa-Experten Jörg Baberowski über Ursprung, Größe und Bedeutung des neuen Stalin-Kults.
### 1. Stalin sei heute kein Mensch, sondern ein Symbol verlorener imperialer Größe
Baberowski betont, Stalin werde in Russland nicht als reale historische Figur verehrt, sondern als "Symbol für verloren gegangene imperiale Macht" und als "Repräsentant des Sieges über Hitler-Deutschland". Diese Verehrung sei "nicht mit der Bewunderung des Terrors verbunden", sondern diene als Projektionsfläche für Sehnsüchte nach Ordnung und nationaler Stärke.
### 2. Die Rehabilitierung Stalins folge einem politischen Kalkül Putins
Sowohl Baberowski als auch Scherbakowa deuten an, dass die Wiederbelebung des Stalin-Kults kein Zufall sei. Putin nutze die Figur geschickt, um "sein Regime zu stabilisieren" und eine "mythologische Vergangenheit" zu konstruieren. Die Rückkehr Stalins erfolge parallel zur Außenpolitik: "mit dem Kampf gegen den Faschismus, mit dem Kampf gegen die NATO, gegen die Einkreisung Russlands".
### 3. Die kurze Phase der Entstalinisierung in den 1990er Jahren sei gescheitert
Scherbakowa erinnert sich, dass es nach der Perestroika einen kurzen Konsens gegeben habe, Stalin sei ein Verbrecher gewesen. Diese Phase sei aber "sehr kurz" gewesen und habe sich als "Täuschung" erwiesen. Die Schwierigkeit, den eigenen Lebensort als "verbrecherischen Staat" anzuerkennen, habe viele Menschen zurück in die Arme nostalgischer Großmachtfantasien getrieben.
### 4. Stalin habe sich früh als gewaltbereiter Pragmatiker profiliert
Baberowski zeichnet den Werdegang des jungen Dschugaschwili nach: vom Priesterseminar-Abbrecher zum Bankräuber, der sich 1912 "den Stählerne" nenne. Erst durch die Revolution und den Bürgerkrieg habe sich aus dem "Taugenichts und Gewaltverbrecher" ein Organisator entwickelt, der "die Hand nicht zittert" und "die Dinge macht, die andere nicht machen wollen".
### 5. Die Stalinsche Gewalt sei nicht ideologisch, sondern machttechnisch motiviert gewesen
In den Archiven fänden sich keine ideologischen Überzeugungen, sondern "Gewalttechniken" und "Herrschafts- und Machttechniken". Stalin habe "alle Terrorbefehle" schriftlich hinterlassen und mit "blauem Buntstift" Menschen "aus dem Leben befördert". Die Ideologie diene lediglich als Rechtfertigung für bereits vollzogene Gewalt.
### 6. Der Stalinismus sei eine besondere Form von Herrschaft mit Vernichtungsqualität
Baberowski grenzt den Stalinismus scharf von anderen kommunistischen Systemen ab. Kennzeichnend sei "Massenterror in jeder Hinsicht" und die "Atomisierung der Gesellschaft" durch Furcht und Schrecken. Diese Form entgrenzter Gewalt finde sich nur noch in Maos China und Pol Pots Kambodscha wieder.
## Einordnung
Die Folge zeigt journalistische Professionalität: komplexe historische Zusammenhänge werden klar strukturiert, Experten kommen ausreichend zu Wort, und es fehlen die üblichen Unterhaltungsrequisiten. Besonders bemerkenswert ist die differenzierte Darstellung: Weder wird Stalin zum reinen Monster erklärt, noch werden die Gründe für seine Verehrung einfach abgetan. Die Historiker erklären die Rückkehr des Stalin-Kults als Resultat post-sowjetischer Krisenerfahrungen und putinischer Machtstrategie, ohne dabei die Verantwortung der Bevölkerung auszublenden. Kritisch bleibt, dass die Perspektive russischer Stalin-Anhänger kaum vorkommt – die Rede bleibt überwiegend auf die westdeutsche Expertensicht beschränkt. Die Verbindung zum Ukraine-Krieg wird zwar angedeutet, aber nicht vertieft. Insgesamt liefert der Podcast eine fundierte Einführung in ein brisantes Thema, ohne zu belehren oder zu vereinfachen.
Hörempfehlung: Wer verstehen will, warum ein Massenmörder heute wieder als Held gefeiert wird, bekommt hier eine kluge, faktenreiche Analyse ohne Polemik.