Apokalypse & Filterkaffee: Presseklub: Friedrich Merz und sein Stadtbild
Presseclub diskutiert die CDU-AfD-Strategie: Merz erklärt die AfD zum Hauptgegner, während Ost-CDU und West-CDU über eine Lockerung der Brandmauer streiten.
Apokalypse & Filterkaffee
71 min read4049 min audioMarkus Feldenkirchen diskutiert mit Mariam Lau (Zeit), Robin Alexander (Welt) und Nicole Diekmann (ZDF) über die CDU-Klausur, in der die AfD-Strategie neu justiert wurde: Merz erklärt die AfD zum „Hauptgegner“, doch intern streiten Ost- und West-CDU darüber, wie stark man sich abgrenzen soll. Die Runde analysiert die „Stadtbild“-Äußerung Merz‘ als bewusstes Signal nach rechts, stellt fest, dass Teile der Ost-CDU lieber „Mehrheiten mit der AfD zulassen“ würden, und streitet darüber, warum linke Parteien Themen wie innere Sicherheit und Integration lange „links liegen ließen“. Dabei wird Merz‘ uneindeutige Semantik („raunt“ statt klar benennen) ebenso kritisiert wie die Angewohnheit linker Politiker, unbequeme Debatten zu vermeiden. Die Kernbotschaft: CDU und SPD müssen AfD-Wähler:innen mit konkreter Politik zurückgewinnen – Versprechen wie „AfD halbieren“ ohne klare Maßnahmen laufen ins Leere.
### Merz‘ Strategie: AfD als Hauptgegner, aber keine klare inhaltliche Abgrenzung
Merz habe der CDU nach der Klausur ein „Kampfmodus“ gegen die AfD verordnet, gleichzeitig Baustellen geschaffen: Die Union liege in Umfragen gleichauf mit der AfD, sein eigener Januar-Antrag mit der AfD sei „Fehler“ gewesen, und nun werde mit Begriffen wie „Stadtbild“ und Abschiebe-Druck ein „rassistisches Narrativ“ bedient, ohne konkret zu sagen, „was eigentlich anders werden soll“. Dadurch würden „Millionen integrierter Migrant:innen“ ausgeschlossen und AfD-Lücken gestopft.
### Ost-CDU drängt auf „Beinfreiheit“ – West-CDU blockt ab
In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern werde die AfD laut Prognose „stärkste Kraft“, CDU-Landespolitiker:innen „wünschen sich mehr Spielraum“ für Stimmen mit der AfD. Die Präsidiums-Klausur habe keine klare Handlungsanleitung geliefert; es herrsche „ach wird schon irgendwie gut gehen“-Stimmung. Merz‘ klare Nein-Parole werde vor Ort umgangen, indem man formell auf Koalitionen verzichte, aber „im Zweifel Mehrheiten mit der AfD“ akzeptiere.
### Linke überlassen Sicherheitsthemen der CDU – AfD profitiert
Die Diskussion zeige, dass SPD und Grüne innere Sicherheit, Gangs im Park und „verschleppte Abschiebungen“ jahrelang „links liegen ließen“; jetzt hole Merz diese Themen nach rechts. Die Folge: AfD-Wähler:innen spüren, dass ihnen „das Störgefühl bei der eigenen Wahl“ fehle – die Linke habe keine überzeugende Gegenvision geliefert, während die Union zumindest „einen schlechten Vorschlag“ mache statt gar keinen.
### Strategie der Union: AfD-Störgefühl schüren statt ignorieren
Der Wahlkampfexperte habe in der Klausur empfohlen, das „schlechte Gewissen“ der Erst- und Zweit-AfD-Wähler:innen anzusprechen: „Putinknechte“, „Vaterlandsverräter“-Rufe und mangelnde Durchsetzungskraft der Ampel seien Ansatzpunkte. Bisherige Strategie („ignorieren oder dämonisieren“) sei gescheitert; künftig gelte: „Konfrontation suchen, aber klar machen, dass AfD Systemsprenger ist und keine konservative Alternative.“
### Gefahr absolute Mehrheit AfD im Osten – BSW als möglicher Partner
In Sachsen-Anhalt könne die AfD laut jüngster Umfrage auf über 40 % kommen, während SPD und Grüne an der Fünf-Prozent-Hürde zittern und nur das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) den Einzug schaffe. Sollte es zu einer „AfD-BSW-Mehrheit“ kommen, wäre die Brandmauer gescheitert. Die Union habe bislang kein durchgängiges Konzept, wie sie „die AfD schrumpfen“ wolle, ohne sie zugleich zu stärken.
## Einordnung
Der Presseklub wirkt wie ein journalistisches Selbstgespräch der politischen Mitte: Alle vier sind hochvernetzte Hauptstadt-Beobachter:innen, keiner lebt dauerhaft in den betroffenen Ost-Bundesländern. So entsteht ein Echo-Raum, in dem die „Ost-CDU“ nur als vermeintlicher Störenfried auftaucht, während die realen Machtspiele in den Landtagen kaum durchleuchtet werden. Die Diskussion ist symptomatisch für eine Debattenkultur, die zwischen „Linkspopulismus“ und „Stammtisch“ oszilliert: Die AfD wird einerseits als „Systemsprenger“ gebrandmarkt, andererseits die eigenen Inhalte (Abschiebe-Offensive, „Stadtbild“-Rhetorik) entlang ihrer Themen verschoben. Dabei bleiben zentrale Fragen offen: Welche konkreten Gesetze würden Ost-CDU-Politiker:innen mit der AfD beschließen wollen? Warum ignoriert Merz die eigenen Experten-Erkenntnisse über die Schädlichkeit gemeinsamer Anträge? Und warum lassen Journalist:innen diese Widersprüche unkommentiert stehen? Stattdessen wird die Verantwortung für den Rechtsruck primär bei „den Linken“ verortet – eine Selbstinszenierung, die am Ende vor allem der AfD nutzt, weil sie als einzige konsequent die Grenzen des Sagbaren verschiebt. Der Podcast bietet tiefere Einblicke in die strategischen Ränkespiele der Union, doch die Analyse verharrt in der Berliner Blase und verweigert damit eine kritische Auseinandersetzung mit den realen Machtoptionen der AfD in den Ländern.
Hörempfehlung: Nur wer die Berliner Insider-Rhetorik mag und sich für taktische Feinheiten der CDU-AfD-Debatte interessiert, sollte reinhören – wer aber erklärt bekommen will, warum die AfD im Osten trotzdem weiter wächst, erhält hier keine neuen Antworten.