Hotel Matze: Aussteiger Gangerl – Was passiert, wenn man alles hinter sich lässt?
Packende Aussteiger-Geschichten ohne kritische Gegenfragen.
Hotel Matze
150 min read4435 min audioMatze Hielscher trifft auf seinem Boot in Berlin Wolfgang Clemens, genannt Gangerl – 83-jähriger Weltumsegler, Buchautor und Aussteiger seit 1988. Gangerl erzählt, wie er als Kunstschmied und Hotelier sein Leben radikal umkrempelte, sich ein 15-Meter-Schiff baute und allein loszog. Er spricht offen über seine Angst vor der Realität („Ich bin feig gegenüber der Realität“), die Notwehr-Tötung zweier Piraten („Ich habe nicht die geringste Belastung“) und seine gescheiterte Familienplanung. Die zentralen Erkenntnisse: Gangerl sieht Freiheit als Flucht vor der Zivilisation, empfindet Reichtum als „Glück, Zufriedenheit, familiäre Wärme“, bewundert indigene Gemeinschaften und kritisiert Massentourismus als Kulturzerstörer. Er gesteht, seine Kinder vernachlässigt zu haben, bereut dies aber nur teilweise, da er sein Leben als Abenteurer für „richtig“ hält. Die Episode endet mit seinem Appell: „Lebe deine Träume“ – und der resignierten Erkenntnis: „Ich glaube, die Welt ist nicht mehr zu retten.“
### 1. Freiheit als Flucht vor der Realität
Gangerl beschreibt seine Motivation, die bürgerliche Existenz aufzugeben, als „Feigheit vor der Realität“. Die Realität sei für ihn „Städte, Zivilisation, Arbeit, Müll, Lüge“. Er sagt: „Wenn ich der entfliehen kann, wo nichts ist, dann bin ich im Himmel.“ Das Schiff sei lediglich „das Mittel für die Freiheit“, nicht die Freiheit selbst.
### 2. Die Notwehr-Tötung zweier Piraten
Er berichtet ungerührt, wie er 1996 zwei Abu-Sayyaf-Kämpfer erschoss, die sein Boot überfallen hätten: „Ich habe nicht die geringste Belastung damit, nicht die geringste, weil ich weiß, wenn ich nicht schneller gewesen wäre, stünde ich heute hier nicht mehr.“
### 3. Familienleben als geopfter „Zoll“
Gangerl räumt ein, seine drei Kinder und Enkelkinder weitgehend vernachlässigt zu haben: „Das ist der Zoll, den man zahlt.“ Er würde drei Jahre seiner Abenteuer gegen drei Jahre mehr mit seinen Kinden eintauschen – aber nur „für später“.
### 4. Kulturzerstörung durch Massentourismus
Er schildert, wie einst idyllische Inseln wie Nanomea (Tuvalu) durch Yachtmagazine und Massentourismus „kaputtgemacht“ wurden: „Tourismus versaut die Einheimischen, versaut die Kulturen.“
### 5. Menschenbild: „Der Mensch ist gut – er wird verdorben durch die Zivilisation“
Gangerl idealisiert indigene Gemeinschaften mit „gleichem Haus, gleichem Fenster“ und kritisiert westliche Konsumgesellschaften: „Konsum versaut Menschen.“
### 6. Resignation gegenüber der Zukunft der Erde
Am Ende klagt er: „Ich glaube, die Welt ist nicht mehr zu retten.“ Die Menschen seien „abgestumpft“ durch Fernsehen und Internet.
## Einordnung
Die Episode ist kein kritisches Interview, sondern eine stimmungsvolle Huldigung an den Abenteurer. Matze Hielscher hinterfragt kaum, weder die Gewaltandrohungen („Ich wollte ihn erschießen“) noch die pauschalen Urteile über „verdorbene Zivilisation“ oder „Ballast-Menschen“. Stattdessen verharrt er in Bewunderung für Gangerls radikale Selbstinszenierung. Kritische Gegenstimmen fehlen völlig – etwa zu Kolonialismus, westlichem Reichtum oder der Verantwortung für die eigene Familie. Die Folge bestärkt eine romantische Vorstellung vom Aussteiger, ohne die sozialen Kosten zu hinterfragen. Wer bereit ist, diese Lücken selbst zu füllen, findet hier packende Geschichten – wer aber differenzierte Auseinandersetzung erwartet, wird enttäuscht sein.