SMWB: Petition gegen Online-Hass: Wichtiges Anliegen, bedenkliche Forderung
Warum eine Ausweispflicht im Netz gegen Hass nicht hilft und stattdessen Meinungsfreiheit und vulnerable Gruppen gefährdet – eine kritische Analyse.
SMWB
18 min readDer Newsletter des Social Media Watchblog analysiert die Petition "Schluss mit anonymem Internet-Hass!", die von über 177.000 Menschen unterzeichnet wurde. Die Autor:innen unterstützen das grundsätzliche Anliegen der Initiatorin Ruth Moschner, Hasskriminalität im Netz konsequenter zu verfolgen. Sie stimmen auch drei der vier Forderungen – bessere Strafverfolgung, mehr Ressourcen für Behörden und Meldepflichten für Plattformen – mit leichten Einschränkungen zu. Der Kern der Ausgabe ist jedoch eine fundierte und scharfe Kritik an der vierten Forderung: einem verpflichtenden Identifikationsnachweis zur Erstellung von Social-Media-Konten, um sogenannte Fake-Accounts zu unterbinden.
Die Autor:innen argumentieren, dass eine solche Ausweispflicht nicht nur ineffektiv, sondern auch gefährlich sei. Sie führen an, dass Hass oft nicht anonym, sondern unter Klarnamen geäußert wird, wie Studien von Twitter und der Universität Zürich belegen. Zudem scheitere die Strafverfolgung meist an überlasteten Behörden, nicht an fehlenden Daten. Als warnendes Beispiel wird Südkorea genannt, wo eine Klarnamenpflicht eingeführt und später als verfassungswidrig eingestuft wurde, nachdem sie die Meinungsfreiheit einschränkte und zu einem massiven Datendiebstahl von 35 Millionen Datensätzen führte. Der zentrale Punkt der Kritik ist jedoch der Schutz vulnerabler Gruppen: Anonymität und Pseudonymität seien essenziell für Aktivist:innen, Whistleblower, Minderheiten und Gewaltbetroffene. Eine Identifikationspflicht würde einen "Chilling-Effekt" erzeugen und gerade diese schutzbedürftigen Stimmen zum Schweigen bringen. Die Gefahr der Maßnahme wird mit einem Zitat von Markus Reuter von Netzpolitik.org unterstrichen: "Eine Klarnamenpflicht ist schon in der Demokratie brandgefährlich, in den Händen von Autoritäreren ist sie ein mächtiges Instrument der Unterdrückung."
## Einordnung
Die Argumentation des Newsletters ist klar strukturiert und quellenbasiert. Sie stützt sich auf konkrete Fallbeispiele (Dunja Hayali), wissenschaftliche Studien, internationale Vergleiche und Zitate von Expert:innen aus der Zivilgesellschaft. Damit wird eine differenzierte Gegenposition zu einer populären, aber technisch und gesellschaftlich komplexen Forderung aufgebaut. Die Perspektive ist eindeutig die der digitalen Bürger:innenrechte. Die implizite Annahme ist, dass die Risiken der Datensammlung und des potenziellen Missbrauchs durch staatliche oder private Akteure die vermeintlichen Vorteile bei der Strafverfolgung bei Weitem überwiegen.
Der Text nutzt das Framing des "gut gemeinten, aber gefährlichen Vorschlags", indem er das Anliegen der Petition zunächst validiert, um dann die vorgeschlagene Lösung als Bedrohung für Meinungsfreiheit und Demokratie zu demontieren. Damit werden die Interessen von marginalisierten und schutzbedürftigen Gruppen in den Vordergrund gerückt, deren Teilhabe am öffentlichen Diskurs durch eine solche Maßnahme gefährdet würde. Der Newsletter leistet einen wichtigen Beitrag zur Debatte über den Umgang mit Online-Hass, indem er vor scheinbar einfachen Lösungen warnt. Er ist besonders lesenswert für Personen, die die Petition unterstützen, aber die weitreichenden negativen Konsequenzen einer Ausweispflicht im Netz bisher nicht bedacht haben.
Länge des Newsletters: 17805