Der Politikpodcast: EU-Gipfel - Warum die Ukraine weiter auf Milliarden wartet
DLF-Korrespondent:innen blicken auf den EU-Gipfel: Belgien stoppt die Verwendung russischer Gelder für Kiew, Merz fordert Entbükratisierung statt Klimaschutz – viel Polit-Theater, wenig Gegenrede.
Der Politikpodcast
60 min read3136 min audioDer Deutschlandfunk-Politik-Podcast 449 („Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel“) beleuchtet aus Brüssel die jüngste EU-Sondergipfel-Runde. Die DLF-Korrespondent:innen Klaus Remme (Sicherheit), Annabell Brockhues (Umwelt, Migration, Digital) und der neue Wirtschaftsreporter Moritz Küpper diskutieren die zentralen Streitpunkte: Belgien blockiert mit Premier Bart De Wever die geplante Umschichtung von 140 Milliarden Euro eingefrorener russischer Zentralbank-Gelder zugunsten der Ukraine. De Wever verlangt solidarische Haftung aller EU-Staaten und nutzt die mediale Bühne für historische Vergleiche („noch nie im Zweiten Weltkrieg passiert“). Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, ursprünglicher Treiber des Vorhabens, zeigt plötzlich Verständnis für die belgischen Bedenken, ohne die eigenen geringen deutschen Assets einzubinden. Parallel verwandelt sich Merz‘ oberste Priorität „Wettbewerbsfähigkeit“ in eine breite Attacke gegen EU-Umwelt- und Klimaregeln; er fordert radikale Entbürokratisierung, deckelt CO₂-Preise und kritisiert das gescheiterte Lieferkettengesetz scharf. Die Kommission lenkt ein und kündigt „pragmatische“ Flexibilisierung des Emissionshandels ETS2 an. Verteidigungspolitik bleibt vage: Die EU billigt eine Roadmap 2030, doch Kompetenzen bleiben bei den Staaten und der NATO – ein Erfolg für Generalsekretär Rutte und einen Rückschlag für Kommissionspräsidentin von der Leyen.
### 1. De Wevers Veto stoppt Milliardenplan für Kiew
Bart De Wever habe den Gipfel „blockiert“, weil Belgien allein die Haftung für mögliche russische Gegenklagen tragen solle. Er habe drei Bedingungen gestellt: Beteiligung aller Länder mit russischen Assets, solidarische Haftung und EU-weite Garantien. „Wenn Belgien das Geld anfassen würde, würden wir das bis in alle Ewigkeit zu spüren bekommen.“
### 2. Merz wendet sich vom eigenen Vorhaben ab
Friedrich Merz, ursprünglich Protagonist der Enteignung, erkläre nun, er teile De Wevers Skepsis vollumfänglich: „Wenn ich belgischer Premier wäre, hätte ich die gleichen Fragen.“ Dabei verschweige er, dass auch Deutschland betroffene Vermögen halte – nur in deutlich kleinerem Umfang.
### 3. „Entbürokratisierung“ als Kampfbegriff gegen Klimaziele
Unter dem Etikett Wettbewerb fordere Merz massiven Abbau EU-Ökoregeln: „Ich werde dieser Maschine ein Stöckchen in die Räder werfen.“ Die Kommission reagiere mit Ankündigungen, CO₂-Zertifikate stärker zu preisen und ETS2 zu flexibilisieren, um Preissprünge abzufedern.
### 4. Parlament wird ausgebootet
Merz‘ scharfe Attacke auf das gescheiterte Lieferkettengesetz („inakzeptables Signal“) offenbare eine Strategie: Kommission und Rat drängten, künftig mehr Entscheidungen ohne EU-Parlament zu treffen – etwa beim kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen und bei Verteidigungsprojekten.
### 5. Verteidigung bleibt Mitgliedstaatensache
Trotz EU-Roadmap 2030 zur Luft- und Drohnenabwehr setze man auf nationales Haften und NATO-Führung. Die Kommission habe sich mit Ambitionen wie einem „Drohnenwall“ zurücknehmen müssen; Bundeskanzler und NATO-Chef Rutten stärken gemeinsam die Rolle der Allianz.
## Einordnung
Die Episode zeigt einen professionellen, aber einseitig geführten Schlagabtauschs. Die drei Korrespondent:innen liefern detaillierte Einordnungen, bleiben jedoch in der Wertung weitgehend deskriptiv. Kritische Nachfragen fehlen: Warum verschiebt Kanzler Merz die Verantwortung für sein eigenes Vorhaben? Welche rechtlichen und moralischen Präzedenzfälle entstehen, wenn EU-Staaten eingefrorene Reserven umschichten? Das historische Argument De Wevers („nicht einmal im Zweiten Weltkrieg“) wird zitiert, nicht hinterfragt – tatsächlich gab es damals keine vergleichbare Sanktionsarchitektur. Auch die Klimadiskussion verläuft entlang der Merz-These „Öko = Standortnachteil“; wissenschaftliche Gegenargumente oder Expert:innen kommen nicht vor. Stattdessen dominieren anonyme „andere Stimmen“ und „man höre“-Formulierungen, die Drohkulissen schüren („Kriegseintritt“, „bis in alle Ewigkeit“). Die EU-Kommission erscheint als Reaktionsinstanz, nicht als politischer Akteur; das Europäische Parlament wird zur Nebenrolle degradiert. Hintergrundgespräche mit Jurist:innen, Ökonomen oder Klimaökonom:innen fehlen – ein Manko für einen öffentlich-rechtlichen Anspruch. Insgesamt erhalten Hörer:innen eine klare, aber eng geführte Innenperspektive der Machtspiele in Brüssel – wer aber Alternativen oder langfristige Folgen sucht, bleibt auf sich allein gestellt.
Hörwarnung: Wer eine ausgewogene Auseinandersetzung mit den Rechtsfragen der Asset-Umschichtung oder den Kosten und Nutzen von EU-Klimapolitik erwartet, wird hier nur aus Sicht der Regierungschefs bedient.