Streitkräfte und Strategien: Russlanddeutsche in der Bundeswehr – dienen unter Verdacht (mit Julia Weigelt)
Der NDR-Podcast zeigt auf, wie russische Spionageaktivitäten und Generalverdacht gegen Soldat:innen mit russischem Hintergrund die Bundeswehr spalten.
Streitkräfte und Strategien
52 min read2895 min audioDer Podcast "Streitkräfte und Strategien" beleuchtet in dieser Folge die wachsende russische Spionagegefahr für die Bundeswehr und die besondere Bedrohung für Soldat:innen mit russischen Wurzeln. Die Moderator:innen Stefan Niemann und Kai Küstner diskutieren mit Expert:innen und Betroffenen.
### Russland intensiviere Spionage in Deutschland massiv
Der Militärische Abschirmdienst (MAD) warne vor einer "robusten" Vorgehensweise russischer Geheimdienste, die nun auf Erpressung, finanzielle Anreize und Druck auf Familienangehörige in Russland setzten würden. "Die Bundeswehr ist ein exzellentes Aufklärungsziel für russische Nachrichtendienste, weil sie zentral die Unterstützung der Ukraine koordiniert", erkläre die Russland-Expertin Margarete Klein.
### Etwa 21.000 Bundeswehrangehörige mit russischem Hintergrund betroffen
Recherchen zufolge könnten rund 8 Prozent der Bundeswehrangehörigen - etwa 21.000 Menschen - russische Wurzeln haben. Diese Gruppe gerate durch Putins Angriffskrieg in einen Loyalitätskonflikt: "Ich will keine Soldatin zweiter Klasse sein, nur weil meine Wurzeln auch in Russland liegen", zitiere die Reporterin Julia Weigelt eine betroffene Soldatin.
### Betroffene berichten von Diskriminierung und Generalverdacht
Der ehemalige Zeitsoldat Paul berichte, dass ihm und anderen Soldat:innen mit russischem Hintergrund "immer wieder Fragen zur Loyalität" gestellt worden seien. Viele würden sich trotz jahrelanger Treue plötzlich unter Generalverdacht gestellt fühlen. Einige seien von sensiblen Aufgaben abgezogen worden, andere hätten Kriegsdienstverweigerung beantragt.
### Sicherheitsüberprüfungen dauern bis zu zwei Jahre
Seit Kriegsbeginn seien die Sicherheitsüberprüfungen für Menschen mit russischem Hintergrund verschärft worden. Während dieser Zeit würden Betroffene oft auf unbedeutende Dienstposten "geparkt", was zu Frustration führe. Der MAD verwehre sich gegen Stigmatisierung, zugleich würden Loyalitätskonflikte zu Disziplinarmaßnahmen führen können.
### Geschichte der Russlanddeutschen als Spiegelbild aktueller Konflikte
Die Reporterin zeichne den historischen Hintergrund der Russlanddeutschen nach: von der Ansiedlung unter Katharina der Großen über die Verfolgung und Deportation unter Stalin bis zur Auswanderung nach Deutschland. Diese Geschichte wiederhole sich nun in verkehrter Form: "In der Sowjetunion waren wir die Deutschen, die Nazis, und hier sind wir plötzlich die Russen", zitiere Paul.
## Einordnung
Der Podcast zeigt journalistisch anspruchsvoll, wie sich historische Muster der Ausgrenzung wiederholen. Die Moderator:innen gelingen bemerkenswert differenzierte Interviews, die sowohl Sicherheitsbedenken als auch die Perspektive der Betroffenen ernst nehmen. Besonders stark ist die Einbettung in den historischen Kontext, der die Brisanz des aktuellen Generalverdachts verdeutlicht. Die Sendung vermeidet es, die komplexe Lage zu vereinfachen oder pauschale Schuldzuweisungen zu machen. Stattdessen wird sichtbar, wie prekär die Situation für Menschen mit Migrationshintergrund in sensiblen Positionen ist, wenn geopolitische Konflikte zu innergesellschaftlichen Spannungen führen. Die journalistische Leistung liegt darin, systemische Probleme ohne Stigmatisierung sichtbar zu machen und zugleich die Menschlichkeit der Betroffenen im Fokus zu halten.
Hörempfehlung: Diese Folge lohnt sich für alle, die verstehen wollen, wie Sicherheitsinteressen und Menschenrechte in Zeiten geopolitischer Spannungen ausbalanciert werden müssen.