Überleben im 21. Jahrhundert: Was ist Polizeigewalt?
Nach einer schikanösen Polizeikontrolle in Berlin analysiert der Autor die schleichende Verschiebung hin zu einem autoritären Staat und fragt, wie wir Demokratie und Sicherheit neu denken müssen.
Überleben im 21. Jahrhundert
20 min readAusgehend von einer persönlichen, schockierenden Erfahrung mit der Berliner Polizei entwickelt der Autor eine weitreichende Analyse über das Wesen staatlicher Gewalt, Sicherheit und den Zustand der Demokratie. Als privilegierter, weißer Mann, der nach eigener Aussage kaum Erfahrung mit Polizeigewalt hat, wird er als Radfahrer für eine geringfügige Verkehrsübertretung von einem Polizeiwagen aggressiv abgedrängt, verfolgt und schließlich unter dem Vorwurf der Gefährdung der Polizei an eine Wand gedrückt und durchsucht. Diese als willkürlich und schikanös empfundene Behandlung wird zum Ausgangspunkt für eine grundsätzliche Kritik. Der Autor fragt, wo die Grenze zur unrechtmäßigen Gewalt verläuft und wie sich diese in der Gesellschaft verschiebt.
Er verknüpft seine Beobachtung einer zunehmenden „Militarisierung der Polizei“ und einer Fixierung auf Kontrolle mit einem systemischen Widerspruch: Während die Welt durch Technologie und Wissenschaft immer vernetzter und horizontaler werde, blieben staatliche Institutionen wie die Polizei hierarchisch und vertikal organisiert. Diese Spannung sei ein Nährboden für autoritäre Tendenzen, die er vorsichtig mit dem Begriff „Frühfaschismus“ in Verbindung bringt. Die erlebte Ohnmacht und die aggressive Haltung der Beamten, die auf die Frage, ob sie ihn schikanieren wollten, mit „Wenn Sie das so nennen wollen“ antworteten, dient ihm als Beleg für ein problematisches Machtverständnis. Er plädiert für ein neues Konzept von Sicherheit, das auf Vertrauen, Kommunikation und Kooperation basiert und fordert, Demokratie als gemeinschaftlichen Prozess zu verstehen, der auf Augenhöhe stattfindet.
## Einordnung
Der Newsletter rahmt eine singuläre, persönliche Erfahrung als Symptom für einen gesamtgesellschaftlichen Verfallsprozesses. Die Stärke des Textes liegt in der essayistischen Verbindung von persönlichem Erleben und abstrakter Systemkritik, was die Thematik greifbar macht. Der Autor reflektiert seine eigene privilegierte Position, was die Analyse nahbar macht, doch bleibt die Perspektive zwangsläufig auf den Schock des erstmalig Betroffenen zentriert. Die Erfahrungen von Menschen, für die solche Kontrollen Alltag sind, werden zwar erwähnt, aber nicht in den Mittelpunkt gerückt.
Die implizite Annahme ist, dass diese eine Interaktion repräsentativ für eine allgemeine Entwicklung hin zu einem autoritären Polizeistaat ist. Diese Verallgemeinerung von einem Einzelfall auf eine Diagnose wie „Frühfaschismus“ ist argumentativ gewagt und mehr eine zugespitzte These als eine empirisch belegte Analyse. Ideologisch vertritt der Text eine klar progressive, anti-autoritäre und herrschaftskritische Position, die staatliche Machtmonopole grundsätzlich infrage stellt und für dezentrale, partizipative Modelle plädiert. Auslassungen finden sich bei der Betrachtung der Herausforderungen, mit denen die Polizei selbst konfrontiert ist; diese Perspektive wird bewusst ausgeblendet, um die Kritik am System zu schärfen.
Der Newsletter ist für Leser:innen empfehlenswert, die eine subjektive und philosophisch grundierte Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Bürger:innen und Staatsgewalt schätzen. Wer eine datengestützte Analyse der Polizeiarbeit sucht, wird hier nicht fündig. Der Text bietet stattdessen einen nachdenklichen Impuls, um über die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und die wahre Bedeutung von Sicherheit neu nachzudenken.