Im ersten Teil der ADHS-Mythos-Folge von "Kein Grund zur Panik" treffen sich Moderator Daniel Schiffbauer mit drei Fachärzt:innen im Kölner Tonstudio, um gängige Vorurteile zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung zu entlarven. Die Expert:innen – Dr. Averes Fischer (Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut), Dr. Jürgen Fleischmann (Kinder- und Jugendmedizin) und Dr. Matthias Rudolf (Psychosomatik und Psychotherapie) – diskutieren lebhaft und mit viel Ironie. Sie räumen mit Mythen wie „ADHS gibt es gar nicht“, „es wächst sich raus“, „die Pharmaindustrie hat es erfunden“ oder „Erziehungsfehler sind schuld“ auf. Dabei betonen sie die neurobiologischen Grundlagen, die historische Nachweisbarkeit und die Notwendigkeit einer professionellen Diagnostik. Die Sendung wirkt wie ein unterhaltsames Fachgespräch, das Wissen mit Spaß vermitteln will. ### 1. ADHS ist historisch belegt und keine Modekrankheit Die Expert:innen führen an, dass ADHS schon 1775 durch Melcher Adam Weikert klar beschrieben worden sei. Auch im frühen 20. Jahrhundert habe der englische Pädiater Still dieselben Symptome erkannt – allerdings als „moralisches Defizit“ gedeutet. Die langjährige Forschung belege, dass es sich um eine echte, neurobiologisch verankerte Störung handele. ### 2. Die Pharmaindustrie habe ADHS nicht erfunden Die Vermutung, ADHS sei eine Erfindung der Pharmaindustrie, weist Dr. Fischer als haltlos zurück. Bereits vor 100 Jahren habe man beobachtet, dass Menschen mit ADHS paradox auf Stimulanzien reagieren – sie würden ruhig statt hyperaktiv. Zudem seien Dutzende beteiligter Gene identifiziert worden, darunter das Dopaminrezeptorgen DRD4 mit dem 7R-Allel, das schon bei alten Skelettfunden auftauche. ### 3. Die Diagnose sei trotz fehlenden Bluttests sicher möglich Ohne Labortest könne man ADHS genauso verlässlich diagnostizieren wie Depressionen oder Angststörungen, erklärt Dr. Rudolf. Die WHO biete klare Kriterien, die von Fachärzt:innen in ausführlichen Anamnesen abgefragt würden. Entscheidend sei, dass die Symptome zu klinischem Leid führen – nur dann liege eine Behandlungsbedürftigkeit vor. ### 4. ADHS wachse sich nicht einfach mit 18 Jahren aus Zwar sinke die Prävalenz von 5 % bei Kindern auf 2–3 % bei Erwachsenen, doch das bedeute keine Heilung, sondern lediglich, dass Erwachsene ihre Umgebung besser selbst steuern könnten, so Dr. Fleischmann. Ein Drittel der Betroffenen verliere die Behandlungsbedürftigkeit, zwei Drittel behielten die Symptome. Die Störung bleibe – nur ihre Sichtbarkeit ändere sich. ### 5. Erziehungsfehler seien nicht Auslöser, sondern Umgangstraining sinnvoll Die Gene, die mit ADHS in Verbindung stünden, würden vererbt – oft zeige sich bei Eltern dieselbe Symptomatik, nur unerkannt. Die Experten betonen, dass Eltern keine Schuld träfen. Wichtig sei vielmehr, Eltern und Lehrkräfte zu schulen, wie sie Kindern Struktur bieten und Impulskontrollprobleme nicht als Trotz missverstehen. ### 6. Weder Medienkonsum noch Zucker oder mangelnder Sport seien alleinige Ursachen oder Heilmittel Reizüberflutung und Bewegungsmangel könnten Symptome verstärken, aber sie seien nicht kausal. Auch extremen Zucker-Konsum geben die Expert:innen als Auslöser nicht die Schuld – Kinder würden auf Partys eben gleichzeitig viel Zucker und viel Reizintensität erleben. Sport wie Kampfsportarten könne unterstützend wirken, aber eine Monotherapie reiche nicht aus. ## Einordnung Die Folge inszeniert sich als launiges Expertenduell, das mit Ironie und Selbstironie arbeitet. Der Moderator übernimmt bewusst die Rolle des Advocatus Diaboli, um gängige Vorurteile zu verdeutlichen – ein unterhaltsames, aber durchsichtiges Stilmittel. Die medizinischen Fakten werden klar und kompakt vermittelt, wobei die Wissenschaftlichkeit durch die wiederholte Berufung auf Leitlinien und Genetik betont wird. Kritisch bleibt, dass soziale Rahmenbedingungen wie Schulstrukturen oder Reizüberflutung zwar erwähnt, aber nicht als Mitverursacher tiefergehend analysiert werden. Es fehlt eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die etwa überdiagnostizierende Selektionsmechanismen fördern könnten. Die Expert:innen beanspruchen Deutungshoheit, ohne alternative Perspektiven – etwa kritische Stimmen aus der Betroffenenbewegung oder der Sozialpädagogik – einzuladen. So bleibt der Diskurs medizinisch-monolithisch, was angesichts der kontroversen Debatte um ADHS bedauerlich ist. Für Hörer:innen, die eine unterhaltsame, kompakte Entmystifizierung der wichtigsten Vorurteile suchen, liefert die Episode eine gute Orientierung – wer sich für ein breiteres Spektrum an Perspektiven interessiert, sollte ergänzende Formate konsumieren.