analyse & kritik: Das Leben geht weiter?
Der ak-Podport zeigt die gespaltene ukrainische Linke zwischen Hoffnung auf stärkere Arbeiter:innenbewegung und Angst vor Rechtsruck nach dem Krieg.
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3846 min audioDer ak-Redakteur Jan Ole Arps berichtet von seiner Reise nach Kiew, wo er mit ukrainischen Gewerkschafter:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen über die Auswirkungen des Krieges und die Militärmobilmachung sprach. Die Gespräche offenbaren unterschiedliche Perspektiven auf die Zukunft der Arbeiter:innenbewegung und politischen Entwicklung in der Ukraine.
Hauptsprecher:innen sind Jan Ole Arps (ak-Redakteur), Yurij Smoilov (ukrainischer Journalist und Gewerkschafter) sowie Serhij Hus (Journalist bei Commons Ukraine). Das Thema der Episode ist die Situation der ukrainischen Linken und Arbeiter:innenbewegung unter den Bedingungen von Krieg und allgemeiner Mobilmachung.
### Militärische Rekrutierung mit rabiaten Methoden
Das ukrainische Militär würde systematisch Männer zwischen 18 und 60 Jahren rekrutieren, wobei die Methoden zunehmend gewaltsam würden. Wie Yurij Smoilov berichtet, gingen Rekrutierungsbeamte "auf die Straße, gehen sie in Cafés und in die U-Bahn" und verteilten Einberufungsbefehle. Wer diese nicht annehmen wolle, "wird auch gewaltsam in ein Militärfahrzeug gesetzt". Die Rekrutierung finde auch direkt am Arbeitsplatz statt: "Es kommt auch vor, dass sie auf Baustellen gehen, in Fabriken, wo die Leute arbeiten."
### Arbeitgeber:innen als Mittäter der Rekrutierung
Laut Smoilov würden viele Arbeitgeber:innen die Militärrekrutierung aktiv unterstützen, um Arbeiter:innen "loszuwerden". Diese Praxis offenbare ein strukturelles Problem: "Die Arbeitgeber, die sind auch daran interessiert, diese Einberufungen zu verteilen und die Leute loszuwerden." In einigen Fällen würden Rekrutierungsbeamte sogar in Wohnungen einbrechen.
### Militärerfahrung als Hoffnung für Klassenkampf
Smoilov sieht in der Kriegserfahrung eine potenzielle Stärkung der Arbeiter:innenbewegung. Die an der Front gesammelten Erfahrungen würden die Arbeiter:innen zu "Soldaten" machen, "die werden mit Waffen umgehen können. Und die werden auch wissen, wie man organisiert". Diese militärische Erfahrung werde "zu einer Stärke für die Arbeiterklasse", da nach dem Krieg "viele soziale Probleme" entstünden und die Menschen dann "wissen, wie man dafür kämpft".
### Pessimistische Ausblick auf Nachkriegsgesellschaft
Serhij Hus zeigt sich deutlich pessimistischer und warnt vor einer Rechtsentwicklung der Ukraine. Er gehe davon aus, dass "die Situation nach dem Krieg viel schlimmer sein wird als vor dem Krieg" und befürchtet, dass "die ukrainische Gesellschaft viel rechts sein wird". Die "rechten Kräfte werden viel mächtiger sein", was ein großes Problem darstelle.
### Gefahr eines rechten Putsches
Hus macht sich Sorgen über die Stärke rechter Parteien in der Ukraine und sieht die Gefahr eines rechten Putsches nach einem möglichen Kriegsende. Diese Sorge stehe im Kontrast zu Smoilovs Hoffnung auf eine stärkere Arbeiter:innenbewegung.
## Einordnung
Der ak-Podcast präsentiert sich als linkes Gegenmodell zu bürgerlichen Medien und will analysieren, "wie die Übel des Kapitalismus" ohne "ideologische Scheuklappen" betrachtet werden können. In dieser Folge gelingt ihm eine differenzierte Auseinandersetzung mit der komplexen Realität in der Ukraine, die sowohl Hoffnungen als auch Befürchtungen der ukrainischen Linken wiedergibt. Die journalistische Herangehensweise ist professionell: Arps interviewt unterschiedliche Stimmen, lässt kontroverse Positionen nebeneinander stehen und verzichtet auf einfache Schwarz-Weiß-Malereien. Besonders bemerkenswert ist, dass er weder die positiven noch die negativen Stimmen dominieren lässt, sondern die Spannung zwischen revolutionärer Hoffnung und rechter Gefahr als gleichberechtigte Perspektiven präsentiert. Die Auswahl der Gesprächspartner:innen - Gewerkschafter:innen und Journalist:innen aus der Ukraine selbst - gibt ihnen Autorität über ihre eigene Situation. Der Podcast zeigt, wie linke Medien komplexe geopolitische Realitäten abbilden können, ohne in einseitige Positionen zu verfallen. Die Tatsache, dass sowohl die mögliche Stärkung der Arbeiter:innenbewegung als auch die Gefahr einer Rechtsentwicklung ernst genommen werden, zeigt eine reflektierte Haltung, die der eigenen ideologischen Positionierung nicht blind folgt.