Kontext und Sprecher Der SRF-Podcast „Input“ begleitet Julia Lüscher bei der Recherche über häusliche Gewalt und Femizid in der Schweiz. Sie spricht mit den Sozialarbeiterinnen Adina Merlin und Anita Sempach vom Projekt „Tür an Tür“ in Bern sowie mit der Kriminologin Nora Markwalder (Universität St. Gallen). Zusätzlich kommen Passanten und eine spanische Doktorandin zu Wort. Das Format versteht sich als Reportage, die Zahlen, Präventionsprojekte und persönliche Erfahrungen verbindet. Hauptthema Wie kann die Schweiz mit dem Tabu häuslicher Gewalt und Femizid umgehen, welche Rolle spielen Nachbarschaftsprojekte und was lehrt der Vergleich mit Spaniens umfassender Präventionspolitik? ### 1. Tabu und Berührungsangst prägen den Umgang mit häuslicher Gewalt Fast jede Person, die die Sozialarbeiterinnen auf der Strasse ansprechen, habe „irgendwie im Umkreis“ bereits mit Gewalt konfrontiert gestanden, heißt es. Die erste Reaktion sei „sehr gekämpft, vielleicht auch Ohnmacht“. Direkt angesprochen, sagt ein junger Mann: „Boah, also finde ich gerade ein bisschen krass, dass sie einfach so hinkommt und so direkt mit dem Thema anfängt, also heftig erstmal.“ ### 2. Spanien zeigt: Gesetzesreformen und breite Aufklärung senken Femizidrate Seit dem Mord an Ana Orantes 1997 investierte Spanien „Milliarden“ in Prävention. Gewalt gegen Frauen gilt dort als eigenständige Straftat, es gibt spezialisierte Gerichte und eine landesweite Notfallnummer. Die Folge: „In absoluten Zahlen und im Vergleich zu der Gesamtbevölkerung in Spanien durchschnittlich mal weniger Femizid als in der Schweiz.“ ### 3. Schweizer Statistik: Femizide sind nicht gestiegen, aber der Frauenanteil ist hoch Die Schweiz habe „praktisch auf der Welt“ die niedrigste Mordrate, erklärt Nora Markwalder. Weil fast alle Opfer im häuslichen Bereich Frauen seien, wirke der Anteil „sehr hoch“. Die Rate sei seit Jahren stabil, zuletzt 20 von 50–60 Tötungsopfern pro Jahr. Die mediale Wahrnehmung eines „Trends“ entstehe dadurch, dass Einzelfälle stark thematisiert würden. ### 4. Risikofaktoren: Vorstrafen, Substanzmissbrauch, sozialer Stress – nicht Nationalität 90 % der Täter seien Männer, 44 % hätten „einen anderen Pass“, was „verhältnismäßig ein höherer Ausländeranteil“ sei. Markwalder betont jedoch: „Nationalität und kulturelle Hintergrund allein kein Hinweis auf das höheres Gewalt.“ Entscheidend seien vor allem Vorstrafen („Training“), Alkohol- oder Drogenmissbrauch, finanzieller Druck und fehlendes soziales Netz. ### 5. Nachbarschaftsprojekte wie „Tür an Tür“ sollen Unsicherheit abbauen Die Sozialarbeiterinnen gehen mit Papierblumen und Flyern durchs Quartier, um das Gespräch zu suchen. Wichtigste Botschaft: „Es gibt keine Zauberformel“, man müsse nicht „die Verantwortung für die Beziehung“ übernehmen, sondern könne sich an Fachstellen wenden. Mehrere Schweizer Städte prüfen, das Modell zu übernehmen. ### 6. Fehlendes Frauenhaus-Netz und verzögerte Helpline in der Schweiz Eine nationale Notrufnummer für Betroffene sollte 2025 starten, wurde aber auf Frühling 2026 verschoben. Es fehle „ein dichtes Netz von Frauenschutz“, das politisch gefordert, aber noch nicht flächendeckend umgesetzt sei. ## Einordnung Die Reportage gelingt es, ein schwieriges Thema sachlich aufzubereiten und mit konkreten Beispielen zu veranschaulichen. Besonders stark: der Vergleich mit Spanien, der zeigt, dass politische Willensbildung und strukturelle Maßnahmen wirken können. Die Sendung vermeidet es geschickt, Gewalt als „Migrationsproblem“ zu vereinfachen, lässt dafür aber andere Perspektiven aus: Betroffene kommen kaum zu Wort, männliche Gewalt wird zwar benannt, aber nicht tiefer strukturell hinterfragt. Der Fokus liegt auf Aufklärung und Prävention – eine notwendige, aber auch begrenzte Ebene, wenn Machtverhältnisse und Geschlechterrollen nicht zur Diskussion stehen. Insgesamt liefert „Input“ eine informative und für breite Hörerschaften gut verständliche Einführung in das Thema, ohne jedoch gesellschaftliche Tiefenbohrung zu betreiben. Hörempfehlung: Ja – wer einen fundierten, aufklärenden Einstieg in das Thema häusliche Gewalt und Femizid sucht und sich für Präventionsansätze interessiert, bekommt hier kompakte Informationen und konkrete Handlungsoptionen.