Geschichten aus der Geschichte: GAG527: Botanik, Baret und Bougainville
Die Geschichte der Jeanne Baret, die sich als Mann verkleidete, um 1766 an Bougainvilles Expedition teilzunehmen und als erste Frau die Welt zu umsegeln.
Geschichten aus der Geschichte
12 min read3797 min audioDaniel Meßner erzählt Richard Hemmer in der History-Podcast-Folge „Jeanne Baret – Die erste Weltumseglerin“ von der französischen Expedition 1766 unter Louis-Antoine de Bougainville, die Frankreich nach dem Siebenjährigen Krieg als globale Seemacht zurückbringen sollte. Hauptziel war das Sammeln exotischer Pflanzen für Botaniker Philibert de Commerson. Als Commersons Assistent reiste Jean Baret mit – doch „Jean“ war in Wirklichkeit Jeanne Baret. Sie hatte sich als Mann verkleidet, um als erste Frau die Welt zu umsegeln. Die beiden Forscher:innen teilten sich die Kabine auf der „Étoile“, wobei Commerson ihres Geheimnisses offenbar von Anfang an gewusst hätte. Die Mannschaft vermutete lange, dass mit dem stillen Assistenten etwas nicht stimmte; Gerüchte kursierten über unangenehme Gerüche, mysteriöse Beinverletzungen und Zurückgezogenheit. Als Jeanne auf Tahiti von Einheimischen als Frau erkannt oder von einem niederländischen Arzt auf den Molukken entlarvt wurde, brach ein Skandal aus: Frauen galten als Seefahrts-Unglück und waren an Bord verboten. Nach ihrer Enttarnung blieb Jeanne zunächst auf dem Schiff, wurde aber später auf Mauritius von Bord gedrängt. Dort arbeitete sie mit dem kranken Commerson weiter, heiratete später einen Soldaten und kehrte 1774/75 als erste Weltumseglerin nach Frankreich zurück. Die französische Krone gewährte ihr eine Rente, doch ihre Leistung geriet danach weitgehend in Vergessenheit, bis Historiker:innen sie im späten 20. Jahrhundert wieder ans Licht hoben.
### Tarnung und Zusammenarbeit mit Commerson
Die Quellenlage sei eindeutig: Commerson habe Jeanne von Beginn an unterstützt. „Commerson wusste natürlich über das Geheimnis Bescheid. Er hatte sie eingestellt und sie mit auf die Expedition genommen.“ Die beiden hätten sich an Bord „ziemlich gut verstanden“ und eng zusammengearbeitet, obwohl – oder weil – Jeanne sich als Mann ausgegeben habe.
### Rufmord und Vergewaltigung durch die Mannschaft
Nach der Enttarnung habe die Mannschaft Jeanne „vergewaltigt“, wie Hemmer mit sachlicher Betroffenheit erzählt. Die Folge beschreibt, dass die Crew Jeanne als Unglücksbringerin betrachtet und sich gegen sie gestellt habe. Die körperliche Gewalt werde in den Quellen zwar nur kurz erwähnt, sei aber Teil des historischen Befunds.
### Erstentdeckung von Pflanzen und wissenschaftliche Leistung
Trotz Gefährdung habe Jeanne „neue Pflanzenarten identifiziert, beschrieben und Exemplare für die botanischen Gärten in Frankreich gesammelt“. Ihre Sammelleistung sei für die damalige Botanik bedeutend gewesen; in Neukaledonien etwa brachte sie den heute nach ihr benannten Baum „Baretia“ mit an Bord.
### Geschlechterrollen und wissenschaftliche Anerkennung
Die Historiker:innen zeigen, wie sehr gesellschaftliche Normen Frauen in der Wissenschaft behinderten. Frauen seien „strengstens verboten, auf See zu gehen, es galt als Unglück“. Erst durch die spätere feministische Geschichtsschreibung habe Jeanne Baret die Anerkennung erhalten, „die sie verdient“.
### Quellenlage und Erinnerungspolitik
Die Episode thematisiert offen, warum Jeanne Bart lange verschwand: „Es war ja auch ein bisschen peinlich für die französische Marine, dass eine Frau es geschafft hatte, sich an Bord zu schleichen.“ Die Moderatoren kritisieren die „Misogynie in der Wissenschaftsgeschichte“, die Frauen systematisch aus dem kollektiven Gedächtnis strich.
## Einordnung
Die Folge besticht durch ihre souveräne Mischung aus detaillierter Recherche und erzählerischem Drive. Meßner und Hemmer liefern keine simple Heldengeschichte, sondern zeichnen die komplexe Dynamik zwischen Ausbeutung, Partnerschaft und Widerstand nach. Besonders wirkungsvoll: Die Moderatoren durchbrechen das klassische Abenteuerkorsett, indem sie koloniale Gewalt (Vergewaltigung) und wissenschaftliche Leistung gleichwertig benennen. Die Perspektive bleibt dabei klar auf Jeanne Baret fokussiert; die französische Kolonialmacht selbst wird nicht etwa als neutrale Kulisse, sondern als strukturelle Bedrohung sichtbar. Die argumentative Konstruktion ist stringent: Erst wird das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Neugier und restriktivem Geschlechterregime aufgebaut, dann die individuelle Lösung (Tarnung) und schließlich deren Preis (Enttarnung und Gewalt). Durch die wiederholte Einbettung in andere Episoden (z. B. zur Franklin-Expedition) entsteht ein lebendiges Netz vergessener Abenteuer. Kritisch bleibt, dass die kolonialökonomische Motivation der Expedition („Pflanzen … für Frankreich zu Geld machen“) nur am Rande hinterfragt wird; die systematische Ausplünderung indigener Ökosystemen tritt zurück gegenüber der personalen Geschichte. Dennoch gelingt den Historiker:innen eine zeitgemäße, geschlechterbewusste Erzählung, die Jeanne Barets Pionierleistung ohne Beschönigung würdigt.