The New Yorker: Fiction: Lauren Groff Reads Elizabeth Hardwick

Ein feines Gespräch über Elizabeth Hardwicks 1979 erschienene Erzählung, in der persönliche Schmerzen nur durch die Beobachtung anderer Menschen sichtbar werden.

The New Yorker: Fiction
63 min read4323 min audio
Lauren Groff liest Elizabeth Hardwicks 1979 erschienene Erzählung "The Faithful" und spricht mit Deborah Treisman über die feinen Schichten autobiografischer Verarbeitung, die unter der scheinbar distanzierten Beobachtung eines Amsterdamer Liebesdreiecks liegen. Groff betont, Hardwick habe das eigene, schmerzhafte Ehe-Aus mit Robert Lowell nur indirekt durch die Figur des untreuen Dr. Z und seiner beiden Frauen thematisiert; die Kälte des Textes, die Fokussierung auf fremde Leben und die fast medizinische Genauigkeit der Beobachtung dienen einer Schutzhülle, hinter der sich die eigene Wunde nur in Negativform zeigt. Besonders bemerkenswert sei, dass Simone – im Gegensatz zur namenlosen "nurse" und der nur über den Ehemann definierten "Madame Z" – eine eigene künstlerische Identität erhalte und damit die erste Figur bleibe, die sich der verführerischen Versorgung durch Dr. Z entzieht. Die beiden sprechen zudem über die subtile Verarbeitung kolonialer und nachkriegszeitlicher Traumata, die sich in den Nebensätzen über „skinny Indonesians“ und die eigene Flucht vor der Geschichte zeigt. Abschließend reflektieren sie, wie das späte New-York-Treffen der alternden Z’s als fast inszenierte Rache Madame Z’s wirkt: öffentliche Demütigung des Mannes, zugleich aber tiefe, fast liebevolle Verbundenheit in ihrer gemeinsamen Gebrechlichkeit. ### 1. Die autobiografische Leerstelle als Schreibstrategie Hardwick habe das eigene Ehetrauma nur durch die „negative Belichtung“ eines fremden Dreiecks erzählt; „vielleicht sei das Zentrum zu heiß, um es direkt anzufassen“. Das spiegele sich in der bewussten Zurückhaltung gegenüber dem Ich-Paar, das kaum beschrieben wird. ### 2. Simone als erste unabhängige Figur Simone sei die einzige Frau, die einen Vornamen und eine eigene künstlerische Existenz erhalte; sie breche die Serie der „angeheirateten“ oder „angestellten“ Frauen und bleibe Dr. Z letztlich verweigert – ein Bruch, der den Arzt sichtbar erschüttere. ### 3. Koloniale und historische Nachhallungen Die Erzählung trage die „Nachgeschmacks-Note“ des Krieges und des Kolonialismus: die „traurigen, dünnen Indonesier“ auf der gegenüberliegenden Veranda, Dr. Z’s Lager-Vergangenheit und Simone’s Bruder als Nazi-Kollaborateur verankerten die Liebesgeschichte in einem größeren historischen Schmerzraum. ### 4. Sprache als Schutzraum Hardwicks „wry, wry voice“ ermögliche es, ohne direktes Bekenntnis zu schreiben; die „wissenschaftliche“ Beobachtung anderer ersetze die riskante Selbstbeobachtung und lasse die eigene Wunde nur in „fractured moments“ durchschimmern. ### 5. Das späte Treffen als literarische Rache Die New-York-Szene wirke wie ein „autorinnen-internes Urteil“: Madame Z, betrunken und giftig, ziehe in der Öffentlichkeit Bilanz, während Dr. Z sie stützt – eine Szene, die gleichzeitig Demütigung und intime Verbundenheit zeige und die Macht der Erzählerin demonstriere, das letzte Wort zu behalten. ## Einordnung Das Gespräch ist ein feines Beispiel für die Möglichkeiten literarischer Podcasts, komplexe Texte ohne akademischen Ton zugänglich zu machen. Treisman und Groff bewegen sich souverän zwischen Werkanalyse und persönlicher Leseerfahrung; sie sprechen nicht über, sondern mit der Literatur. Besonders bemerkenswert ist, wie sie die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion respektieren: Keine Seite beansprucht Deutungshoheit, stattdessen wird die eigene Lektüre als eine unter vielen möglichen präsentiert. Gleichzeitig wird deutlich, wie sehr Hardwicks Text von 1979 heute noch irritieren kann: Die bewusste Vermeidung eines klassischen Plots, die fast ethnografische Distanz zur eigenen Geschichte und die ruhige Gewissheit, dass „tone arrived at by language“ ausreicht, widersprechen jedem aktuellen Erzähl-Trend. Der Podcast macht diesen Widerstand sichtbar, ohne ihn aufzulösen – und bietet so eine seltene Gelegenheit, eine Meisterin des indirekten Sprechens neu zu entdecken. Hörempfehlung: Wer sich für literarische Verarbeitung persönlicher Katastrophen, für das Spiel mit autobiografischer Leerstelle und für Prosa als Widerstand gegen Selbstenthüllung interessiert, sollte diese Folge unbedingt hören.