Deutschlandfunk Kultur präsentiert in der fünften Ausgabe der "Doku Drops" unter dem Titel "Die Landschaft spricht" drei akustische Kurz-Dokumentationen, die Landschaft nicht als bloßen Hintergrund, sondern als erzählkraftvolles Akteur:innen-Verhältnis begreifen. Ingo Kottkamp führt durch das 27-minütige Feature-Format. Hauptsprecher:innen sind die beiden Moderator:innen Judith Geffert (Redaktion) und Ingo Kottkamp (Moderation) sowie die Autor:innen der Beiträge: Kristina Richter ("Alles fließt"), Sophie Peterson ("Eingedeichte Propaganda"), Asade Peschman ("Spuren in die Kulturlandschaft tanzen"). In Interviews kommen zudem die Tänzer:innen Laura Cassé, Iman Gelle, Lisa Ennawi, der Kulturhistoriker Dr. Patrick Stoffel und der Producer Youssef zu Wort. ### 1. Die Oberlausitzer Struga als Klang-Raum Autor:innen Axel Matz und Clemens Pitschke („Landschaft Sound") erkunden den durch Braunkohleabbau geprägten Fluss Struga ausschließlich mit Feldaufnahmen und poetischem Sprechtext. Kristina Richter erzählt: „Man hört, was man nicht sieht. Stimmen der Landschaft. Die Landschaft spricht.“ ### 2. Norddeutsche Marsch als NS-Propaganda Sophie Peterson deckt auf, dass der heute idyllische Diksander Kog 1935 als „Adolf-Hitler-Kog“ eingeweiht und zur „Blut-und-Boden“-Bühne umfunktioniert wurde. Historisches Filmmaterial zitiert: „Ein großer, organischer Lebensraum im Einklang mit seiner Umgebung“ – ein Konzept, das laut Kulturhistoriker Stoffel „die Einheit von Lebensgemeinschaft und Lebensraum“ zum zentralen ökologischen Narrativ erhebt. ### 3. Tanzstile aus der Clubkultur erobert die Bühne Asade Peschman begleitet das Kollektiv „Wallache“, das House, Krump und Popping in ein Theaterstück („Traces") übersetzt. Iman Gelle erklärt: „Afro-diasporische Tanzstile sind nicht akademisiert… viele haben keine Vorstellung davon, dass das auch kunstvoll ist.“ ### 4. Wissenschaft als Mittel zur "inneren Kolonisation" Die NS-Landgewinnung verband Hydrologie, Biologie und Technik zur „völkisch-politischen Anthropologie“. Peterson zitiert den Biologen Erich Kolumbe: „Die gesamte wissenschaftliche Grundlage der Landgewinnungsarbeit ist auf eine völkisch-politische Anthropologie einzustellen.“ ### 5. Klang als Erinnerungspolitik Alle drei Beiträge nutzen field recordings und historische Originaltöne, um Vergangenheit hörbar werden zu lassen – sei es das Rauschen der Struga, Marschmusik vom Hitler-Kog oder Club-Beats im Theater. Die Geräuschkulissen ersetzen klassische Expert:innen-Interviews und machen die Landschaft selbst zum Protagonisten. ### 6. Förderstrukturen für urbane Tanzkulturen Die Tänzer:innen kritisieren, dass sich ihre Stile erst durch Produktionsförderung der Berliner Senatsverwaltung auf Theaterbühnen etablieren. Laura Cassé resümiert: „Wir müssen das Spiel spielen können… manchmal erklären wir es anders, damit es überhaupt verständlich wird.“ ## Einordnung Die Sendung arbeitet konsequent mit akustischen statt verbalen Erklärungsmuster: Statt Experteninterviews dominieren Feldaufnahmen und historische Originaltöne, was den Hörer:innen Raum für eigene Interpretationen lässt. Besonders der Beitrag über den NS-Kog überzeugt durch Recherche: Peterson zeigt, wie wissenschaftliche Ökologie-Begriffe („Lebensraum“, „organisches Ganzes“) mit völkischem Gedankengut verschmolzen und dabei bis heute in Planungsvokabular weiterwirken können. Kritisch bleibt, dass weder jüdische noch migrantische Perspektiven auf die NS-Vergangenheit der Region zu Wort kommen – die Erinnerung bleibt auf deutsch-perpetratorische Betrachtung beschränkt. Der Tanzbeitrag wiederum wirft einen unterhaltsamen Blick auf Machtverhältnisse im Kulturbetrieb, skizziert aber nur oberflächlich, warum urbane Tanzformen jahrzehntelang aus öffentlichen Förderstrukturen ausgeschlossen waren. Insgesamt liefert die Ausgabe eine stimmige Klangcollage, die Landschaft als politisches und kulturelles Konstrukt erfahrbar macht – mit kleinen Recherche-Lücken, aber hohem Hör-Nutzen für alle, die dokumentarische Erzählformate jenseits klassischer Talk-Formate schätzen. Hörempfehlung: Wer akustisch recherchierte Geschichten über Alltagsräume und ihre verborgene Ideologie mag, findet hier kurzweilige, anspruchsvolle Miniaturen – ideal für Neugierige zwischen Radiokunst und Geschichtswissenschaft.