Sternstunde Philosophie: Wie lässt sich der Kreislauf von Trauma und Gewalt durchbrechen?

Die Traumaexpertin Maggie Schauer erklärt, warum frühe Gewalterfahrungen besonders gefährlich sind und wie eine einfache Therapiemethode weltweit Leben rettet.

Sternstunde Philosophie
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Die Psychotraumatologin Maggie Schauer erklärt im Gespräch mit Barbara Bleisch, dass fast jede:r Erwachsene im Laufe des Lebens Traumata erlebt – bis zum 25. Lebensjahr seien es laut Studien bereits 80 Prozent. Besonders belastend wirkten frühe Gewalterfahrungen; fast jede fünfte Frau und jeder zwölfte Mann berichteten von sexuellem Missbrauch in der Kindheit. Schauer betont, dass nicht einzelne Ereignisse, sondern die Häufung belastender Erfahrungen („Building-Block-Theorie“) entscheide, ob eine Traumafolgestörung entstehe. Als evidenzbasierte Kurzzeittherapie stellt sie die Narrative Expositionstherapie (NET) vor: In bis zu 13 Doppelsitzungen erzählen Betroffene ihre Lebensgeschichte chronologisch, wobei Therapeut:innen als Zeug:innen protokollieren und so die fragmentierten Erinnerungen ordnen. Die Methode wurde für Kriegs- und Katastrophengebiete entwickelt und wird mittlerweile weltweit von Laienhelfer:innen angewendet – auch in der Schweiz und Deutschland, um geflüchteten Menschen mit Traumata zu helfen. Schauer fordert deshalb politische Unterstützung: systematisches „Screen and Treat“ bei Ankünften, Ausbau niedrigschwelliger Angebote und die Erkenntnis, dass unbehandelte Traumata zu Gewaltspiralen führen könnten. ## Einordnung Der Podcast überzeugt durch klare Struktur und wissenschaftliche Grundlage: Schauer vermittelt komplexe Befunde in verständlicher Sprache, stützt Aussagen mit Studien und greift auf persönliche Erfahrungen zurück, ohne ins Private abzudriften. Bleisch führt präzise nach, vermeidet sensationsheischende Fragen und respektiert die Expertise ihrer Gesprächspartnerin. Die Sendung verzichtet bewusst auf Polarisierung, etwa wenn es um Täter:innen oder Zuwanderung geht, und hebt stattdessen die gesellschaftliche Verantwortung hervor. Kritisch anzumerken ist, dass wirtschaftliche oder strukturelle Ursachen von Gewalt kaum thematisiert werden; der Fokus liegt auf individueller Heilung. Die vorgestellte Laien-Ausbildung wirkt sinnvoll, doch bleibt offen, wie Qualitätssicherung bei ehrenamtlichen Helfer:innen gewährleistet wird. Insgesamt liefert die Folge eine wertvolle, faktenbasierte Einführung in Traumaforschung und Prävention – ohne erhobenen Zeigefinger, aber mit deutlichem Appell an Politik und Gesellschaft, endlich systematisch zu handeln.