phoenix runde - Podcast: phoenix runde: Nervöser Blick auf NRW - Stimmungstest für den Bund?
Journalist:innen und Experten analysieren in der phoenix runde die NRW-Kommunalwahl als Stimmungstest für die schwache Bundesregierung – ohne echte Selbstkritik.
phoenix runde - Podcast
2674 min audioDie phoenix runde diskutiert die NRW-Kommunalwahl als Stimmungstest für Schwarz-Rot. Kerstin Münstermann (Rheinische Post), Tobias Blasius (WAZ), Prof. Oliver W. Lembke und Clemens Tangeding analysieren: Die SPD verliere ihre einstige Ruhrgebiets-Hochburg, weil sie seit Jahren „die falschen Schlüssel zieht“ (Blasius) und Gerechtigkeitsfragen wie Migration oder Bürgergeld „nicht gelten lässt“ (Lembke). Die Union stehe unter Erwartungsdruck wegen Merz’ „Herbst der Reformen“, könne aber bei schwachen Ergebnissen nicht liefern. Die AfD profitiere als Protestpartei, bleibe aber personell unterversorgt; ein AfD-Bürgermeister gilt als unwahrscheinlich. Grüne, FDP, Linke und BSW spielen laut Runde kaum eine Rolle. Die etablierten Parteien hätten kein überzeugendes Rezept, Wähler:innen von der AfD zurückzugewinnen; statt differenzierter Gespräche dominiere Stigmatisierung. Die Wahlbeteiligung dürfte stagnieren, Stichwahlen werden durch Anti-AfD-Bündnisse entschieden.### Die SPD verliert ihre Ruhrgebiets-Hochburg
Die Sozialdemokratie habe „die Sorgen und Nöte der Leute nicht gelten lassen“, sagt Lembke. Viele ehemalige Kernwähler:innen wendeten sich ab, weil Themen wie Migration oder Energiewende als Gerechtigkeitsdefizit empfunden würden. Die Partei suche nun verzweifelt nach einer neuen Sprache, ohne ihre traditionellen Netzwerke (Feuerwehr, AWO) reaktivieren zu können.
### Schwarz-Rot steht unter Reformdruck
Merz’ Ankündigung eines „Herbstes der Reformen“ erhöhe den Erwartungsdruck. Scheitere die Koalition an Haushalt, Rente oder Bürgergeld, drohe ein „Winter des Reformprozesses“. Beide Parteien fürchten, bei schlechten Kommunalwahlergebnissen an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
### Die AfD als Protest-Adresse
Die AfD profitiere von „schweigenden Wähler:innen“, die sich nicht outen wollen, berichtet Tangeding. Obwohl sie nur in 86 von 373 Gemeinden Direktkandidaten stelle, gelinge es ihr, Themen wie Armutszuwanderung oder Verwahrlosung öffentlicher Räume kommunikal zu besetzen. Ein AfD-Bürgermeister gilt als unwahrscheinlich, Ratsmehrheiten könnten durch Anti-AfD-Bündnisse blockiert werden.
### Brandmauer ohne Alternative
Die etablierten Parteien hätten kein Konzept, AfD-Wähler:innen zurückzugewinnen. Statt differenzierter Gespräche dominiere die Forderung nach konsequenter Abgrenzung. Selbst in Schulen würden Lehrer Schüler stigmatisieren, deren Eltern AfD wählen. Ein kommunaler „Plan B“ für inhaltliche Zusammenarbeit existiere nicht.
### Grüne, FDP, Linke und BSW kaum relevant
Die Grünen hätten ihre Hochburg NRW eingebüßt, weil das Klimathema an Sog verliere und die Partei sich gesellschaftlich „verbürgerlicht“. FDP und BSW seien aus dem Bundestag geflogen und kaum sichtbar; die Linke profitiere lediglich in Universitätsstädten von Protestwählern.
## Einordnung
Die Sendung wirkt wie ein strategisches Krisentreffen der etablierten Mitte: Journalist:innen und Wissenschaftler analysieren die eigene Unfähigkeit, AfD-Wähler:innen zu verstehen, ohne sie zu belehren. Die Diskussion bleibt im Machtgefüge verhaftet: Es geht um Koalitionsfolgen, nicht um gesellschaftliche Gründe des Rechtsrucks. Dabei zeigt sich: Die AfD wird als Projektionsfläche für alles wahrgenommen, was die großen Parteien verloren haben – Gerechtigkeit, soziale Sicherheit, lokale Verankerung. Statt neue Perspektiven zu entwickeln, zirkuliert die Runde um das alte Rezept: Brandmauer und Stigmatisierung. Die fehlende Selbstkritik ist auffällig: Weder wird die soziale Spaltung durch Hartz IV, Wohnungsnot oder prekäre Arbeit benannt, noch die Rolle der eigenen Medien bei der Themenpriorisierung. Die Sendung dokumentiert eher die Verunsicherung der politischen Klasse als eine journalistische Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus.