Where Should We Begin? with Esther Perel: Two Conversations Esther Wants You To Hear From Sessions Live

Zwei kraftvolle Vorträge über Heilung durch Verwundbarkeit: Ein HIV-positiver Psychiater und eine Boundaries-Expertin revolutionieren therapeutische Praxis.

Where Should We Begin? with Esther Perel
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Esther Perel präsentiert zwei packende Vorträge ihrer klinischen Konferenz "Sessions Live", die eindringlich zeigen, wie therapeutische Arbeit über konventionelle Grenzen hinausgehen kann. ### Paul Brauds Weg von der Verheimlichung zur Lebendigkeit Psychiater Paul Braudy schildert seine bewegende Lebensgeschichte: Aufgewachsen als schwuler Mann im Apartheid-Südafrika, habe er jahrelang unter Geheimhaltung und Scham gelitten. Mit 25 erhielt er eine HIV-Diagnose, die er als "Todesurteil" empfand. Ein behandelnder Arzt testete ihn ohne Zustimmung, nachdem er von Braudys Homosexualität erfahren hatte. "Ich war der SHPOZ", erzählt er über die Erfahrung, wie Kollegen HIV-Patient:innen als "sub-human piece of shit" bezeichneten, ohne zu wissen, dass er selbst betroffen war. 1994 entschied er sich für Offenheit: "Es dämmerte mir, dass das Leben in der Geheimhaltung mich allein und im Überlebensmodus hielt." Seine Teilnahme an Body Electric-Workshops lehrte ihn, "erotische Lebendigkeit als Portal zu Vergnügen, Verbindung und spiritueller Transzendenz" zu verstehen. ### Nedra Tawwabs Neudefinition von Grenzen Therapeutin Nedra Tawwab räumt mit Missverständnissen über Boundaries auf. Grenzen würden nicht das Ende von Beziehungen bedeuten, sondern deren Fortsetzung ermöglichen. "Gesunde Grenzen sind ein Weg für uns, uns zu verbinden", betont sie. Viele Menschen hätten jedoch eine All-oder-Nichts-Mentalität entwickelt: "Wir haben nicht mehr viel Graubereich. Es ist, als wollten wir alles oder nichts." Sie kritisiert die Inflation psychologischer Begriffe in sozialen Medien: "Manche Menschen sind einfach Idioten. Sie sind nicht wirklich Narzissten." Ihre zentrale Botschaft lautet, dass Beziehungen Flexibilität erfordern: "Nicht jeder braucht dieselben Grenzen." ### Algorithmen belohnen Extreme Tawwab erklärt das Problem sozialer Medien: "Die Algorithmen belohnen Extreme." Posts über Selbstreflexion würden weniger Aufmerksamkeit erhalten als Listen mit "10 Eigenschaften eines Narzissten". Diese Dynamik fördere eine Kultur der Etikettierung und Spaltung, die Menschen von authentischen Verbindungen entferne. ### Vergnügen als Medizin Braudy schließt mit einer kraftvollen Botschaft: "Vergnügen ist kein Luxus. Es ist unser Geburtsrecht und es ist Medizin." Er ermutigt dazu, dem Körper zu danken, Vergnügen zu suchen statt es zu meiden und den "erotischen Bereich als Weg des Wissens" zu praktizieren. ## Einordnung Diese beiden Vorträge demonstrieren eindrucksvoll, wie persönliche Verwundbarkeit und professionelle Expertise sich zu kraftvollen therapeutischen Narrativen verbinden können. Braudys autobiografischer Ansatz durchbricht konventionelle Grenzen zwischen Therapeut und Patient, indem er seine eigenen Traumata als Ausgangspunkt für heilsame Einsichten nutzt. Seine Integration körperlicher und spiritueller Praktiken in die Psychotherapie mag kontrovers erscheinen, doch seine authentische Darstellung macht deutlich, wie Stigmatisierung und Geheimhaltung zu sekundären Traumatisierungen führen können. Tawwabs Arbeit zeigt hingegen, wie populäre therapeutische Konzepte durch unreflektierte Verbreitung in sozialen Medien ihre ursprüngliche Heilkraft verlieren können. Ihre Kritik an der "Therapiespeak"-Kultur trifft einen wichtigen Punkt: Die inflationäre Verwendung psychologischer Begriffe als Waffen in zwischenmenschlichen Konflikten konterkariert deren eigentlichen Zweck. Beide Sprecher:innen vereint die Überzeugung, dass authentische Verbindung nur durch die Bereitschaft zur Verwundbarkeit entstehen kann - eine Botschaft, die in Zeiten digitaler Oberflächlichkeit und politischer Polarisierung besonders relevant erscheint. Ihre Ansätze fordern eine Therapeut:innenrolle heraus, die sich nicht hinter professioneller Distanz versteckt, sondern Heilung durch geteilte Menschlichkeit ermöglicht.