Im Gespräch mit Benjamin Wittes schildert Noah Efron, Professor an der Bar-Ilan Universität und Host von „The Promised Podcast“, seine persönlichen Erlebnisse und gesellschaftlichen Beobachtungen in Israel unmittelbar nach den Angriffen der Hamas am 7. Oktober 2023. Die Aufnahme entstand am 10. Oktober 2023, während Raketenalarmen in Tel Aviv unterbrochen wurde. ### 1. Die Schwere des Angriffs übersteigt jede Vorstellung Efron beschreibt, wie er gegen 7 Uhr durch Sirenen geweckt wurde. Erst stunden später wurde klar, dass „etwas passiert sei, das anders sei als alles, was wir zuvor erlebt hätten“. Die Berichte über Tote in Kibbuzim hätten sich potenziert, bis klar wurde, dass Hunderte Menschen getötet und viele entführt wurden. Das Ausmaß sei für ihn erst begreifbar geworden, als sein Sohn, Student in den USA, anrief und mitteilte, dass er nach Israel zurückkehren und sich seiner Armeeeinheit anschließen wolle. ### 2. In der „Zwischenzeit“ zeige sich verborgene Solidarität Efron prägt für die Zeit zwischen dem Angriff und der erwarteten israelischen Großoffensive den Begriff „Interregnum“. In dieser Phase herrsche merkwürdige Stille: Straßen seien leer, Geschäfte geschlossen, ohne Anordnung. Gleichzeitig beobachte er eine „Genialität für Empathie und Zusammenhalt“, etwa wenn Menschen spontan mit dem Auto nach Reservisten oder Trauernden suchen. Diese Form von Solidarität verstehe er als tief in der israelischen Gesellschaft verwurzelt, werde aber mit Beginn der Gegenoffensive wieder verschwinden. ### 3. Die Geiselfrage belaste die politische Entscheidungsfindung Etwa 150 Zivilisten, darunter Kleinkinder und über 90-Jährige, seien in Gaza festgehalten. Die israelische Gesellschaft neige dazu, sich intensiv mit dem Schicksal einzelner Geiseln zu identifizieren, was die Frage erschwere, wie eine Militäroperation erfolgen könne, ohne diese zu gefährden. Efron vermutet, dass viele Israelis militärische Führung akzeptieren würden, falls diese erkläre, ein Eingreifen sei die „beste Chance“ für die Geiseln – womit implizit gemeint sei, dass diese wahrscheinlich ohnehin kaum lebend zurückkehren würden. ### 4. Politische Polarisierung werde nach Rückkehr zur Tagesordnung übergehen Trotz gegenwärtiger Geschlossenheit erwarte er, dass bald alte Richtungskämpfe wiederauflebten: Teile der Regierung würden der Linken vorwerfen, durch Proteste Schwäche signalisiert zu haben; Kritiker wiederum würden Ministerpräsident Netanyahu vorwerfen, durch Hamas-Strategien Sicherheit zugunosten politischer Interessen missachtet zu haben. Nach Kriegsende werde es Untersuchungen geben, die Vertrauen in Institutionen weiter unterminieren könnten. ### 5. Die Eskalation erschwere langfristige Versöhnung Efron räumt ein, dass bevorstehende israelische Militärschläge zwangsläufig viele palästinensische Zivilisten treffen würden. Die Anschlagsvideos hätten bei vielen Israelis rassistische Stereotype über Palästinenser verstärkt, die lange als diskriminiert galten. Gleichzeitig werde es palästinensische Familien geben, die künftig den Tag bewerten, an dem ihre Tochter durch israelische Gewalt getötet wurde. Diese gegenseitige Verletzung mache es schwerer, eine gemeinsame empathische Grundlage für eine politische Lösung zu finden. ## Einordnung Der Podcast wirkt wie ein Tagebuch in Echtzeit: persönlich, emotional, aber nicht analytisch distanziert. Die journalistische Stärke liegt im authentischen Nahblick; die Schwäche darin, dass fast ausschließlich israelische Perspektiven zu Wort kommen. Palästinensische Stimmen fehlen gänzlich, was angesichts des Themas und des bevorstehenden Krieges eine erhebliche Verkürzung bedeutet. Die Sendung transportiert Empathie für israelische Opfer, ohne zugleich palästinensisches Leid zu thematisieren. Efron reflektiert zwar die Eskalationsdynamik und erwähnt zukünftige palästinensische Tote, bleibt aber in der Ebene persönlicher Betroffenheit. Der Anspruch, eine differenzierte Analyse der Konfliktursachen oder Machtverhältnisse zu liefern, wird nicht erfüllt – was angesichts des professionellen Formats und der Expertise der Sprecher enttäuscht. Die Episode dokumentiert hilfloses Staunen und kollektive Verletzung, bietet aber keine kontextualisierte politische Einordnung.