Der Foreign Policy Live Podcast diskutiert mit Wirtschaftshistoriker Adam Tooze das Scheitern des globalen Entwicklungsmodells. Tooze argumentiert, dass die Entwicklungsagenda der 2010er nie humanitär motiviert war, sondern geopolitische Kontrolle sichern sollte. Die westlichen Versprechen von 2015 seien letzte Ausgeburt von "Ende der Geschichte"-Denken gewesen, das davon ausging, der Westen bleibe unangefochten an der Macht. Chinas erfolgreiche Entwicklung habe dieses Denken ad absurdum geführt. Die Diskussion zeigt, dass selbst einfache Szenarien wie Mexiko mit kanadischem Lebensstandard als Bedrohung für US-Macht wahrgenommen würden. Tooze kritisiert die "Milliarden-zu-Billionen"-Finanzierungsstrategie als utopisch, da private Investoren nie die Risiken tragen wollten. China hingegen habe mit 250 Milliarden Dollar Grüntechnologie-FDI gezeigt, dass Entwicklung funktioniere - nur eben nicht auf westliche Weise. Der Podcast vermittelt eindrucksvoll, wie westliche Entwicklungspolitik zwischen Selbsttäuschung und Machtkalkül gefangen blieb. ### Die Entwicklungsagenda war nie humanitär, sondern Kontrollinstrument Tooze zeigt auf, dass die UN-Nachhaltigkeitsziele von 2015 nicht aus humanitärer Motivation entstanden, sondern die letzte Manifestation westlicher Annahme ewiger globaler Vorherrschaft waren. Wie Tooze formuliert: "The only way in which it would make sense to even imagine the realization of that incredible suite of development objectives without having a geopolitical panic is that you're in charge by grace of God" - die Entwicklungsagenda war nur unter der Annahme westlicher Kontrolle vorstellbar. ### China hat das westliche Entwicklungsparadox enttarnt Die erfolgreiche Entwicklung Chinas wird als fundamentaler Systembruch beschrieben. Tooze argumentiert: "China has really called America's bluff, because if there's one country in the world which has fully realized a fairly comprehensive set of development objectives, it's China." Dies habe gezeigt, dass Entwicklung nicht mit westlichen Werten verknüpft sein müsse und die westliche Panik vor erfolgreichen Entwicklungsländern offenbare. ### Die "Milliarden-zu-Billionen"-Finanzstrategie war von Anfang an unrealistisch Die Strategie, durch öffentliche Milliarden private Billionen zu mobilisieren, wird als "fantastical construction" entlarvt. Tooze erklärt: "As we've seen again and again in debt restructuring, they talk a big game when it comes to taking risk, but when the risk actually materialize, all of a sudden they're in protective mode." Private Investoren würden niemals die Risiken in Entwicklungsländern tragen, ohne massive öffentliche Absicherung. ### Entwicklung bedeutet geopolitische Umverteilung von Macht Tooze macht deutlich, dass echte Entwicklung zwangsläufig zu Machtverschiebungen führt: "Imagine if Mexico achieved the per capita standard of living of Canada. Like, what would that do to the balance of power in the North America?" Diese fundamentale Wechselwirkung zwischen Entwicklung und Macht sei der wahre Grund für das westliche Misstrauen gegenüber erfolgreichen Entwicklungsländern. ### Chinas Grüntechnologie-Offensive verändert globale Machtverhältnisse China werde 2025 vermutlich 500 Gigawatt Solarleistung installieren - mehr als die gesamte historische Installation der USA. Tooze beschreibt dies als "historic shift of scale", wobei China durch billige Solarpaneele Länder wie Pakistan und afrikanische Staaten von defekten Stromnetzen unabhängig mache und damit neue Abhängigkeiten schaffe. ## Einordnung Dieser Podcast zeigt journalistische Exzellenz durch komplexe Themen auf höchstem Niveau. Ravi Agrawal führt die Diskussion souverän, stellt kritische Nachfragen und vermeidet simple Antworten. Besonders bemerkenswert ist die Offenheit, mit der hier westliches Versagen analysiert wird - ohne dabei in Antiwestliche Rhetorik zu verfallen. Tooze liefert keine einfachen Schuldzuweisungen, sondern dekonstruiert die westliche Entwicklungspolitik als Produkt historischer Machtverhältnisse. Die Diskussion vermeidet es gekonnt, China zu idealisieren oder den Westen zu dämonisieren. Stattdessen entlarvt sie die strukturellen Widersprüche im globalen Entwicklungsdiskurs: Die westliche Gemeinschaft wollte Entwicklung - solange sie die Kontrolle behielt. Der Podcast offenbart, wie tief geopolitische Angste selbst humanitäre Projekte prägen. Die inhaltliche Dichte und analytische Schärfe machen diese Episode zu einer Pflichtveranstaltung für alle, die internationale Politik verstehen wollen.