FALTER Radio: Wie funktioniert Journalismus im Gazakrieg? - #1486
Tim Cupal über persönliche Erfahrungen und journalistische Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023.
FALTER Radio
25 min read1460 min audioTim Cupal, ORF-Korrespondent für Nahost, berichtet in der Falter Arena von seinen persönlichen Erlebnissen und journalistischen Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023. Er schildert eindringlich die Auswirkungen des Gaza-Krieges auf israelische und palästinensische Zivilgesellschaften, seine Schwierigkeiten, über Gewalt und Leid ausgewogen zu berichten, und die emotionale Belastung durch fehlende Empathie auf beiden Seiten. Dabei kritisiert er Schwarz-Weiß-Darstellungen, plädiert für differenzierte Betrachtungen und thematisiert den Umgang mit Kritik an Israel und dem Vorwurf des Antisemitismus. Cupal betont, dass Wahrheit und Mitgefühl die ersten Opfer von Krieg seien, und dass es in Österreich eine historische Verantwortung gebe, das israelisch-palästinensische Geschehen präzise zu begleiten.
### 1. Persönliche Kriegserfahrung und Kontrollverlust
Cupal erzählt, wie er am 8. Oktober 2023 nach Sderot fuhr, kurz nach dem Hamas-Massaker. Er schildert brennende Autos, Leichen auf der Straße, ein „Hill of Death“, von dem Journalist:innen Gaza nur aus der Ferne sehen können, und die Schwierigkeit, objektiv über Ereignisse zu berichten, ohne Zugang zu Gaza zu haben. „Ich kann nicht anders, ihr Leid ist so roh, so unendlich.“
### 2. Journalistische Dilemmata und Fehler
Er thematisiert Fehler in der Echtzeit-Berichterstattung, etwa als ein Krankenhaus getroffen wurde und schnell berichtet wurde, Israel habe geschossen, später stellte sich heraus, dass es sich um eine Hamas-Rakete gehandelt habe. Cupal reflektiert, wie er mit Quellenlage, Faktenchecks und dem Druck von Eilmeldungen umgeht: „Also keine Chance irgendetwas zu überprüfen, aber auch unmöglich nicht darüber zu berichten.“
### 3. Fehlende Empathie und Verlust an Mitgefühl
Cupal beschreibt eine gesellschaftliche Verhärtung: Viele Israelis könnten kein Mitleid mehr mit palästinensischen Zivilist:innen aufbringen, während manche Palästinenser:innen den 7. Oktober leugneten oder feierten. Er konstatiert, dass das Mitgefühl auf beiden Seiten aufgebraucht sei und sich viele Menschen in einfachen Feind-Bildern bewegten.
### 4. Diskurs über Antisemitismus und Israel-Kritik
Ein Gespräch mit dem Intellektuellen Doron Rabinovich zeigt, wie verfahren die Debatte sei: Jede Kritik an Israel werde schnell als antisemitisch abgestempelt, andererseits werde Kritik manchals genutzt, um antisemitische Klischees zu bedienen. Cupal fordert differenzierte Diskussion statt wechselseitiger Schuldzuweisungen.
### 5. Historische Verantwortung und Komplexität des Konflikts
Cupal mahnt, der Konflikt lasse sich nicht auf YouTube erklären. Er betont die historische Verantwortung Österreichs, differenziert zu berichten, und erinnert an die Existenzängste vieler Israelis, etwa durch Zitate ehemaliger Flüchtlinge: „Es wird nie wieder so sein, dass wir Juden nirgendwo haben, wo wir hingehen können.“
## Einordnung
Cupal gelingt ein ausgewogener, emotional reflektierter Vortrag, der ohne Parteinahme die Komplexität des Konflikts vermittelt. Besonders wertvoll ist seine Selbstreflexion über journalistisches Fehlverhalten, Quellenarbeit und ethische Grenzen. Kritisch bleibt, dass trotz vieler Sichtweisen keine palästinensischen Stimmen direkt zu Wort kommen; Gaza wird primär über einen informellen Kontakt vermittelt. Die Veranstaltung nutzt klar das Format eines professionell moderierten Events; sie bleibt jedoch eine Einbahnstraße ohne Gegenrede. Die Falter Arena bietet Qualitätsjournalismus, doch wer neue Erkenntnisse zu Geopolitik oder militärischen Abläufen sucht, wird kaum Neues hören. Die Stärke liegt in der persönlichen Perspektive und der Aufforderung, Stereotype zu hinterfragen.
Hörwarnung: Wer bereits ausführlich Berichte über Gaza und israelische Innenansichten konsumiert, findet hier wenig neue Fakten, eher emotionale Verdichtung.