Der Politikpodcast: Deutsche Bahn - Neustart verstolpert?
Journalistische Rundumsicht auf die DB-Personalie: Warum Evelyn Palla und Dirk Grompf nicht automatig für bessere Züge stehen und welche Machtspiele hinter der „Agenda für zufriedene Kunden“ stecken.
Der Politikpodcast
69 min read3146 min audioDer Deutschlandfunk-Podcast „Neustart verstolpert“ diskutiert die Personalrochade an der Spitze der Deutschen Bahn: die neue Vorstandschefin Evelyn Palla und den designierten Infrago-Chef Dirk Grompf. Die Redakteur:innen Nadine Lindner, Dieter Nürnberger und Benjamin Hammer analysieren die politische Inszenierung, die internen Machtverhältnisse und die vage Strategie „Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene“. Dabei kritisieren sie das mangelnde Krisenmanagement des Verkehrsministers Patrick Schnieder, die unklaren Kompetenzen zwischen Bund, Aufsichtsrat und Vorstand sowie die fehlende Perspektive auf konkrete Sanierungs- und Finanzierungsfragen.
### 1. Neue Bahnchefin Palla: viel Ankündigung, wenig substanzielle Handlungsmacht
Evelyn Palla gelte als „Controllerin mit Durchsetzungskraft“, doch ihre bisherigen Erfolge bei DB Regio seien auf unterschiedliche Rahmenbedingungen zurückzuführen. „Ich bin zumindest etwas zurückhaltend, allzu schnell jetzt zu sagen, super Bilanz bei der österreichischen Bahn, super Bilanz bei DB Regio“, mahnt Benjamin Hammer. Die diskutierten Qualitätsziele („Eisenbahnerstolz“, „kein Sprint, sondern Marathon“) wirken eher wie Kommunikationsversprechen denn wie konkrete Reformvorgaben.
### 2. Dirk Grompf: umstrittene Wiedergänger-Figur mit Sparkurs-Vergangenheit
Grompf war maßgeblich an Stuttgart 21 und Sparprogrammen beteiligt; Gewerkschaften und SPD lehnen seine Nominierung ab. Die Kommunikationspanne – Aufsichtsrat und EVG erfuhren erst Stunden vorab – zeige ein „Kommunikationsversagen“ des Ministers, stellt Dieter Nürnberger klar. Der Vorwurf: Wer den vermeintlichen Neuanfang mit einer alten Netz-Planungsgröße besetze, sende das falsche Signal.
### 3. Infrago-Modell: Halb-Entflechtung als politischer Kompromiss
Die geplante interne Ausgliederung der Infrastruktursparte soll Transparenz und Eigenverantwortung erhöhen, bleibt aber ein „Zwitterwesen“. Die Redakteur:innen betonen, dass das Konzept bereits unter Ex-Minister Wissing entstand und nicht neu sei. Zudem fehle eine klare Trassenpreis- und Finanzierungsstrategie, um faire Wettbewerbsbedingungen für private Konkurrenten zu schaffen.
### 4. Agenda versus Strategie: viele Versprechungen, keine klaren Zeitpläne
Die „Agenda für zufriedene Kunden“ konzentriert sich auf Bordbistros, funktionierende Toiletten und saubere Bahnhöfe, verschiebt aber das zentrale Pünktlichkeitsziel (70 %) auf 2029 ohne Zwischenschritte. „Das ist keine richtige Strategie, das ist eine Agenda“, urteilt Nürnberger. Die fehlende Terminierung („mittelfristig 80 %“) erscheine wie „Optimismus auf Zeit“ und entlarve die Politik als reaktiv statt proaktiv.
### 5. Machtgefüge Bund: Abstimmungsprobleme und fehlende Eigentümerstrategie
Schnieder veröffentlichte das Papier ohne Rücksprache mit Finanzministerium oder SPD-geführten Ressorts; eine bundesweite konsistente Infrastrukturstrategie steht aus. Die Journalist:nen kritisieren, dass der Bund als 100 %-Eigentümer weiterhin auf kurzfristige Haushaltsdebatten statt auf langfristige Investitionssicherheit setze. Ohne politischen Konsens bleibe die Bahn „kein normales Unternehmen“, sondern ein „Staatsunternehmen ohne Leitbild“.
## Einordnung
Die Sendung demonstriert journalistische Qualität: Sie durchleuchet Personalentscheidungen, hinterfragt Kommunikationsprozesse und macht strukturelle Probleme des Bundeseisenbahn-Modells transparent. Besonders wertvoll ist die differenzierte Einordnung der Machtverhältnisse: Die Bahn operiert zwischen privatwirtschaftlicher GmbH-Struktur und politisches Eigentümerinteresse – ein Spannungsfeld, das jede neue Führung zunächst lahmlegt. Kritisch bleibt, dass das Ministerium keine überzeugende Geschäfts- und Finanzplanung liefert und die Debatte um mögliche Rechts-Extreme oder Verschwörungsideologien nicht relevant ist. Der Fokus liegt auf der Frage, ob die Beschwörung eines „Neuanfangs“ angesichts verspäteter Züge und personaleller Rückwärtsgewandtheit (Grompf) mehr ist als Symbolpolitik. Die Diskussion zeigt: Ohne klare Rollenverteilung zwischen Bund, Aufsichtsrat und Vorstand bleibt jede „Agenda“ ein ambitioniertes Wunschkonzert. Der Podcast empfiehlt sich für Hörer:innen, die verstehen wollen, warum Milliardeninvestitionen nicht automatisch bessere Züge bedeuten – und wie politische PR mit der Realität eines verrotteten Netzes kollidiert.