Cicero Podcasts: Ehemaliger ZDF-Mann Peter Welchering: „Mobbing und Angst sind im ÖRR an der Tagesordnung“
Der erfahrene Wissenschaftsjournalist Peter Welchering wirft dem ZDF systematische Verletzung journalistischer Standards vor und fordert eine komplette Neugründung des ÖRR.
Cicero Podcasts
50 min read2825 min audioIm Gespräch mit Cicero-Redakteur Glims Traub erklärt der erfahrene Wissenschaftsjournalist Peter Welchering, warum er seine jahrzehntelange Tätigkeit für das ZDF im Dezember 2024 mit einem Brandbrief an Intendant Norbert Himmler beendete. Welchering wirft dem Sender systematische Verletzung journalistischer Standards vor, etwa im Umgang mit dem Korrektiv-Drama, der Schönbohm-Affäre und durch vorausschauenden Gehorsam gegenüber politischen oder wirtschaftlichen Interessen. Er beschreibt eine "Kultur der Angst" im ZDF, in der kritische Kolleg:innen durch prekäre Arbeitsverhältnisse, Diskreditierung oder offene Drohungen zum Schweigen gebracht würden. Der Publizist fordert die medienpolitischen Entscheidungsträger auf, den ÖRR als 9-Milliarden-Konzern aufzulösen und durch einen neuen, kleineren, strukturell unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu ersetzen. Als einzige realistische Reformchance hält er Kündigungen der Rundfunkstaatsverträge durch ostdeutsche Bundesländer nach Wahlen – mit anschließendem Dominoeffekt – für möglich.
### 1. Berufsethik versus Karriere: Welchering beendete seine ZDF-Tätigkeit, weil sich Redaktionen seiner Einschätzung nach von der "konstitutionellen Monarchie" zur "Oligarchie" wandelten und journalistische Sorgfaltspflicht zugunsten von Karriereinteressen vernachlässigt würden: "Ich habe da Nächte durchgearbeitet [...] und ihr sagt jetzt, da haben wir nicht die Zeit für."
### 2. Fehlende Eigenrecherche und fehlende Entschuldigung: Beim Korrektiv-Bericht habe das ZDF Quellen nicht überprüft; im Fall Schönbohm habe der Intendant trotz rechtskräftigem Unterlassungsurteil keine Aufarbeitung betrieben oder sich entschuldigt, sondern sich auf "nicht repräsentative" Kritik berufen.
### 3. Kultur der Angst und prekäre Jobs: Viele Mitarbeitende würden aus Angst vor Kontaktschuld, nicht verlängerten Verträgen oder internen Strafversetzungen nur noch verschlüsselt mit Kritiker:innen kommunizieren; "festfreie" Kolleg:innen seien besonders anfällig für Druck.
### 4. Vorausschauender Gehorsam statt Rundfunkfreiheit: Themen wie IT-Überwachung, Migration oder Corona würden von Führungskräften oft nur noch nach Durchsetzbarkeit ausgewählt; die Nähe von Aufsichtsgremien zu Parteien verstärke die Abhängigkeit: "Der oder die will immer auf der Seite der stärkeren politischen Bataillone stehen."
### 5. Keine Glaube an interne Reformen: Trotz Manifesten und über 100 Unterzeichner:innen aus dem ÖRR seien Verbesserungen gescheitert; Welchering hält das ZDF für "nicht mehr reformierbar" und plädiert für vollständige Neugründung durch neue Staatsverträge.
### 6. Reformdruck durch ostdeutsche Länder: Als wahrscheinliches Szenario erwartet er, dass künftige Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zur Kündigung der entsprechenden Staatsverträge führen und damit eine bundesweite Neuordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einleiten könnten.
## Einordnung
Peter Welchering liefert keine neue Enthüllung, sondern eine strukturierte, in Teilen überzeugende Systemkritik aus der Innensicht eines langjährigen Freien. Besonders belegbar ist seine Kritik an mangelnder Quellenprüfung (Korrektiv), am Fehlen von Korrekturen (Schönbohm) und an prekären Arbeitsverhältnissen, die Angst erzeugen. Die Cicero-Führung überlässt ihm weitgehend das Wort; harte Nachfragen etwa zu Faktenchecks, Gegensprechern oder juristischen Details bleiben aus. Dadurch gewinnt das Gespräch an Glaubwürdigkeit für Zuhörende, die ohnehin skeptisch gegenüber ÖRR steigen, bietet aber wenig Orientierung für unentschlossene. Auffällig ist die Gleichsetzung von „Gesinnungsjournalismus“ mit dem der katholischen Kirche in der Weimarer Republik – ein historischer Vergleich, der die argumentative Präzision schwächt. Die Folge transportiert eine klare Botschaft: Wer grundlegende ÖRR-Reform will, müsse sich auf Neugründungen statt interner Anpassung einstellen. Ob das Szenario ostdeutscher Staatsvertrags-Kündigungen realistisch ist, bleibt offen; es wird als einzige Perspektive präsentiert, nicht als eine unter mehreren. Insofern dient die Sendung primär der Stärkung eines reformkritischen Lagers, weniger der differenzierten Debatte über Medienpolitik.