Der Podcast *Systemrelevant* der Hans-Böckler-Stiftung widmet sich in dieser Folge dem Thema Sozialstaat. Moderator Marco Herack spricht mit Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), über die Bedeutung, Kosten und die aktuelle Debatte rund um den deutschen Sozialstaat. Sie diskutieren, was eigentlich zum Sozialstaat zählt, wie hoch die Ausgaben wirklich sind und warum die öffentliche Wahrnehmung oft nicht mit den Zahlen übereinstimmt. ### Die Definition des Sozialstaats ist vielschichtig Laut Dullien würden die meisten Menschen den Sozialstaat nur auf Teile wie Bürgergeld oder Arbeitslosenhilfe reduzieren, während sie selbst genutzte Leistungen wie Kindergeld oder Krankenversicherung nicht als Teil davon wahrnehmen. Viele nutzen laut Dullien „nur“ die Leistungen, die sie selbst nicht in Anspruch nehmen. ### Die Sozialausgaben sind nicht exzessiv im EU-Vergleich Deutschland liegt mit knapp über 30 % des BIP für Sozialleistungen im oberen Mittelfeld der OECD-Länder. Länder wie Frankreich oder Österreich geben mehr aus. Der Eindruck, Deutschland sei ein besonders großzügiger Sozialstaat, sei irreführend, da viele Länder Pflichtversicherungen als private Lösungen organisieren und deshalb in der Statistik niedrigere Werte ausweisen. ### Die Kostensteigerung ist vor allem ein Wachstumsproblem Die gestiegene Sozialquote sei weniger auf steigende Ausgaben als auf stagnierendes Wirtschaftswachstum zurückzuführen. Die Wirtschaftsleistung sei seit 2019 nicht mehr gewachsen, wodurch die Quote stiege, obwohl die Ausgaben selbst nur moderat zulegen. ### Die Debatte fokussiert sich auf das falsche Thema Die öffentliche Diskussion konzentriere sich stark auf das Bürgergeld, obwohl dessen Ausgabenanteil am BIP seit 2010 leicht gesunken sei. Gleichzeitig würden strukturelle Probleme wie Ineffizienzen im Gesundheitswesen oder der Ausbau der Kinderbetreuung, die tatsächlich zu steigenden Kosten führen, kaum thematisiert. ## Einordnung Die Episode zeigt eine klare, datenbasierte Gegenöffentlichkeit zur dominanten Sozialstaatskritik. Dullien entlarvt die populistische Verkürzung der Debatte auf Einzelleistungen wie Bürgergeld und liefert faktenbasierte Kontexte. Die Argumentation ist stringent, gut belegt und differenziert. Allerdings bleibt die Perspektive auf ökonomische Effizienz und makroökonomische Rahmenbedingungen dominant – gesellschaftliche Fragen nach sozialer Gerechtigkeit oder Lebensrealitäten von Betroffenen treten zurück. Die Kritik an politischen Versuchen, Sozialleistungen zu kürzen, ist deutlich, aber es fehlen Stimmen aus der Betroffenheit selbst. Insgesamt ein professionell produzierter, informativer Podcast, der sich klar gegen neoliberale Sozialstaatskritik positioniert – mit klarem Fokus auf Daten statt auf Narrative.