Víðsjá: Ertu búinn að vera að reyna að ná í mig, Dublin Fringe, Ráðskonur
Ein Blick auf neue isländische Oper, politisches Theater in Dublin und die Geschichte selbstständiger Hauswirtschafterinnen.
Víðsjá
3116 min audioVíðsjá ist ein isländischer Kulturpodcast, der sich auf aktuelle künstlerische Projekte konzentriert. In dieser Folge steht die Premiere der neuen Oper „Hast du versucht, mich zu erreichen?“ von Guðmundur Steinn Gunnarsson im Mittelpunkt, die bei den Óperudagar (Operntagen) in Reykjavík aufgeführt wird. Die Sängerin Heiða Árnadóttir übernimmt dabei alleine mehrere Rollen. Das Werk erforscht die Frage, ob zwischenmenschliche Kommunikation überhaupt möglich ist – ein Thema, das durch abstrakte Klanginstallationen und minimale Textelemente umgesetzt wird. Zusätzlich berichtet Katla Ársælsdóttir von der Dublin Fringe Festival, wo interaktive Theaterformate wie „Am I the Asshole?“ (Bin ich das Arschloch?) das Publikum zu moralischen Urteilen über Alltagssituationen auffordern. Abschließend wirft ein Beitrag über historische „ráðskonur“ (Hauswirtschafterinnen) einen Blick auf isländische Arbeiterinnen des 18. und 19. Jahrhunderts, die außerhalb traditioneller Bauernhöfe arbeiteten – etwa in Hütten oder Fischereistationen – und damit frühe Formen weiblicher Selbstständigkeit markierten.
### Die Oper als Forschungsreise
Guðmundur Steinn und Heiða Árnadóttir beschreiben ihre Zusammenarbeit als langjähriges künstlerisches Labor. Das Stück entstand aus drei kurzen Werken für Stimme und Elektronik, die schließlich zu einer durchkomponierten 45-minütigen Oper fusioniert wurden. Besonders ist der Verzicht auf klassische Handlung: Die Sängerin schlüpft in mehrere Charaktere, deren Identitäten ineinanderfließen. Wie Guðmundur Steinn betont: „Es ist nicht klar, ob es sich um dieselbe Person handelt oder ob sie psychisch zerbricht.“ Die Elektronik wird über kleine Verstärker abgespielt, um eine räumliche Nähe zum Publikum zu schaffen.
### Dublin Fringe: Publikum als Jury
Katla Ársælsdóttir zeigt, dass das Festival politische Satire und partizipatives Theater fördert. In „Am I the Asshole?“ urteilen Zuschauer:innen in einem improvisierten Gerichtsverfahren über moralische Dilemmata aus dem Alltag. Die Grenzen zwischen Performer:innen und Publikum verschwimmen – ein Konzept, das laut Katla besonders junge isländische Künstler:innen inspiriert.
### Vergessene Arbeiterinnen
Der Beitrag von Dalrún Kaldakvísl rekonstruiert die Geschichte von „ráðskonur“, die in Sel-Hütten, Fischereistationen oder Institutionen arbeiteten – oft besser bezahlt als als Haushälterinnen auf Bauernhöfen. Diese Frauen markierten frühe Formen weiblicher Erwerbsarbeit außerhalb patriarchaler Strukturen.
## Einordnung
Die Sendung versteht sich als kulturelle Klangwanderung zwischen Gegenwart und Geschichte. Die Gespräche mit Guðmundur Steinn und Heiða zeigen, wie avantgardistische Oper heute klingt: nicht narrativ, sondern als Klangraum, der Kommunikation als Bruchstelle thematisiert. Die Moderation bleibt deskriptiv, wertet aber nicht aus, ob das Publikum die abstrakte Ästhetik als anstrengend oder erfrischend empfindet. Der Beitrag zur Dublin Fringe wirft einen vielsagenden Blick auf ein Festival, das politische Satire und Identitätspolitik mit Spaß verbindet – ohne jedoch kritisch zu hinterfragen, ob die Inszenierung von „Karen“-Rollen oder Gerichtsverfahren mit tatsächlich marginalisierten Stimmen intersektional arbeitet. Der historische Teil über „ráðskonur“ ist informativ, bleibt aber in der Tradition einer linearen Frauengeschichte, ohne nach queeren oder postkolonialen Perspektiven zu fragen. Insgesamt ein unterhaltsamer, aber oberflächlicher Blick auf aktuelle und historische Kulturarbeit in Island.
Hörempfehlung: Wer isländische Gegenwartskultur jenseits von Krimis und Natur mag, bekommt hier einen lebendigen Einblick – mit Akzeptanz für künstlerische Nischen und historische Brücken.