Der Podcast „läuft“ vom Grimme-Institut und EPD Medien diskutiert mit Lars Gräßer (Grimme-Institut) und Steffen Grütjen (Uni Eichstätt-Ingolstadt), ob Recherche-Podcasts bereits Medienjournalismus sind. Sie unterscheiden drei Stufen: reine Nacherzählung, Einblick in journalistische Innensichten sowie explizite Reflexion von Rahmenbedingungen und Strukturen. Beispiele wie „Boys Club“, „Qui bono“ und „Die Döner Papers“ zeigen, dass Spitzenformate durchaus medienjournalistische Elemente enthalten, etwa wenn sie Redaktionsstrukturen oder Machtverhältnisse im Mediensektor thematisieren. Kritisch sehen die Gesprächspartner:innen, dass dramaturgische Mittel (Cliffhänger, Protagonisierung) Transparenz behindern können und Fakten untergehen. Die Wissenschaft bemängelt, dass Medienjournalismus kaum klar definiert ist und sich deshalb schwer systematisieren lässt. Entwicklungspotenzial sehen sie in kürzeren Formaten und stärkerer Einbindung des Publikums. ### Recherche-Podcasts als Nacherzählung ohne Medienkritik Viele Produktionen erzählen lediglich die Recherche nach, liefern aber keine systematische Kritik zu Medienstrukturen. Gräßer betont: „Das eine ist quasi der Recherche-Podcast als Nacherzählung einer Recherche. Das soll jetzt nicht abqualifizieren klingen [...] kann wirklich großartig sein.“ ### Drei Ebenen: Von Storytelling bis Strukturkritik Die Autor:innen skizzieren eine Stufenleiter: reine Story, Einblick in Fehlerkorrekturen sowie Reflexion journalistischen Handelns. Nur auf der dritten Stufe sprechen sie von „ganz klar Medienjournalismus“, weil dann „Rahmenbedingungen journalistischen Handelns“ thematisiert würden. ### Storytelling versus Transparenz Dramaturgische Kniffe wie Cliffhänger oder Ich-Erzähler:innen sorgen für Spannung, können aber Fakten verwässern. Grütjen warnt, „dass Fakten verloren gehen oder nicht mehr so identifizierbar sind, weil sie quasi im Storytelling untergehen“, und nennt das eine „Erosion journalistischer Standards“. ### Definitionsschwäche behindert wissenschaftliche Erfassung Grütjen moniert: „Medienjournalismus im Allgemeinen hat häufig so ein Definitionsproblem, was bezeichne ich eigentlich als Medium, was ist jetzt eine journalistische Frage?“ Diese Unschärfe erschwere empirische Studien und die systematische Weiterentwicklung des Felds. ### Spitzenformate zeigen: Medienjournalismus in Podcasts möglich „Boys Club“ und Produktionen von „An“ („Qui bono“, „Judging Amanda Knox“) nutzen Meta-Episoden, um True-Crime-Ästhetik und mediale Verantwortung zu reflektieren. Gräßer resümiert: „Das wird dann tatsächlich originär irgendwie Medienjournalismus.“ ### Ausblick: Kürzere Formate und Community-Partizipation Die Interviewten wünschen sich experimentelle Kurzformate („30-40 Minuten“) und ein stärkeres Einbinden des Publikums bei Themenfindung und Diskussion, um „eine stärkere Nähe zum Thema“ zu schaffen und Mediendebatten zu befördern. ## Einordnung Die Sendung wirbt mit dem Anspruch, Medienjournalismus selbst zu reflektieren, bleibt dabei aber weitgehend deskriptiv. Die Gesprächspartner:innen liefern eine nuancierte Typisierung von Recherche-Podcasts, ohne die eigenen Maßstäbe kritisch zu hinterfragen: Wer entscheidet, wann „Reflexion“ genug ist? Welche Macht impliziert die Kategorisierung durch ein Institut, das selbst Preise vergibt? Intersectionale Perspektiven (Betroffene, Zuschauer:innen, Freelancer:innen) bleiben ausgeblendet; die Vermutung, Axel-Springer-Mitarbeitende würden den Podcast als Verstärker interner Reformen nutzen, wird nicht empirisch geprüft. Die These, True-Crime-Dramaturgie ließe sich beliebig auf Medienthemen übertragen, verharmlost das strukturelle Problem: Wenn journalistische Standards erst durch eine zusätzliche Meta-Folge gerettet werden, ist das ein Symptom von Redaktionen, die Produktionslogik vor Aufklärung setzen. Die Episode liefert eine solide Einführung für Podcast-Interessierte, fordert aber weder die eigene Institution noch das Mediensystem heraus – und bleibt damit die Quintessenz des beschriebenen Dilemmas: Beobachtung ohne Konsequenz.