11KM: der tagesschau-Podcast: Rechtsextremismus im Dorf - ein Ehepaar gibt nicht auf (11KM Classic)

11KM zeigt, wie ein Ehepaar mit einem Musikfestival gegen Rechtsextremismus in einem ostdeutschen Dorf kämpft.

11KM: der tagesschau-Podcast
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Der 11KM-Classic-Podcast beleuchtet das 38-Seelen-Dorf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern, das als Neonazi-Hochburg gilt. Die Journalistin Victoria Koopmann spricht mit dem Filmmacher Martin Groß, der seit 2015 regelmäßig vor Ort ist und über das Engagement von Birgit und Horst Lohmeyer berichtet. Das Ehepaar zog vor 20 Jahren ins Dorf und organisiert seit 2007 das Festival "Jamel rockt den Förster", das mittlerweile bis zu 3.500 Besucher:innen mit Stars wie Die Toten Hosen und Herbert Grönemeyer anzieht. Die Folge zeigt, wie die Lohmeyers trotz Anfeindungen, Brandanschlägen und rechtsextremer Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat beharrlich für Demokratie einstehen. ### 1. Die Lohmeyers würden seit Jahren mit subtiler und offener Gewalt konfrontiert Birgit Lohmeyer berichtet: "Ab 12 Uhr ging es dann richtig zur Sache, dann kamen nämlich Leute auf unser Grundstück und fingen an unser Haus mit Raketen oder anderen Feuerwerkskörpern zu beschießen, tatsächlich." Martin Groß ergänzt, dass es regelmäßig symbolische und physische Bedrohungen gebe, von toten Tieren im Briefkasten bis zu Fäkalien auf dem Grundstück. ### 2. Das Festival habe sich nach dem Brandanschlag 2015 zur Anti-Rechts-Demonstration entwickelt Nachdem 2015 die Scheune der Lohmeyers durch Brandstiftung zerstört wurde, hätten Die Toten Hosen unangekündigt angeboten, beim Festival zu spielen. Groß beschreibt: "Die Lohmeyers haben erst gedacht, sie werden veräppelt [...] aber es waren wirklich die Toten Hosen." Seitdem würden jährlich Top-Bands für das ehrenamtlich organisierte Festival auftreten. ### 3. Die lokale Mehrheitsgesellschaft unterstütze offenbar rechtsextreme Strukturen Sven Krüger, ehemaliges NPD-Mitglied und aktuell in der Partei "Die Heimat", sei mit den meisten Stimmen in den Gemeinderat gewählt worden. Groß berichtet: "Es gibt eine Wählergemeinschaft Heimatliebe [...] und da sind inzwischen zwei Kandidaten im Gemeinderat." Die Gemeinde erhebe nun 10.500 Euro Pachtgebühr für Festival-Flächen, während rechte Gruppen offenbar bevorzugt würden. ### 4. Das Dorf funktioniere als Brennglas für rechtsextreme Siedlungsstrategien Der Verfassungsschutz bestätige laut Groß eine "besorgniserregende Tendenz" zunehmender "völkischer Siedlungen" in Deutschland. Jamel zeige exemplarisch, wie Rechtsextreme versuchen, "Orte einzunehmen oder dort sozusagen so eine gewisse Deutungshoheit auch zu erringen." ### 5. Die Lohmeyers würden trotz mangelnder lokaler Unterstützung durchhalten Obwohl Birgit Lohmeyer bei Kommunalwahlen nur wenige Stimmen erhalten habe, zeige sich: "Je mehr sie drangsaliert werden, desto stärker wird ihre Kämpfernatur." Das Paar habe nie über einen Umzug nachgedacht, sondern betrachte das Engagement als langfristigen Marathon. ## Einordnung Der Podcast demonstriert beispielhaft, wie investigativer Journalismus funktioniert: Fakten werden sorgfältig recherchiert, Betroffene kommen ausführlich zu Wort, und rechtsextreme Strukturen werden nicht beschönigt. Besonders bemerkenswert ist die dokumentierte Täter-Opfer-Umkehr in der lokalen Bevölkerung, die die Lohmeyers für die Nazidorf-Stigmatisierung verantwortlich macht, statt die tatsächlichen Rechtsextremen zu benennen. Die journalistische Leistung liegt darin, diese Dynamik nicht zu vereinfachen, sondern die komplexen Machtverhältnisse aufzuzeigen – von symbolischer Gewalt bis zu struktureller Diskriminierung durch Behörden. Die Folge vermeidet bewusst Schwarz-Weiß-Malerei und zeigt stattdessen die mühsame Realität zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus in strukturell benachteiligten Regionen. Die fehlende lokale Unterstützung für die Lohmeyers offenbart dabei tiefere gesellschaftliche Spaltungen, die über Jamel hinausreichen. Hörempfehlung: Ein beeindruckendes Beispiel für aufklärenden Journalismus, der ohne erhobenen Zeigefinger die Realität rechtsextremer Strukturen in ostdeutschen Dörfern dokumentiert.