Víðsjá: Vigdís Grímsdóttir - svipmynd
Gemütliches Gespräch mit der isländischen Schriftstellerin Vigdís Grímsdóttir über Musik, Kindheit, Tabubruch und die Kraft der Literatur.
Víðsjá
37 min read2954 min audioKontext: In der isländischen Kultursendung „Víðsjá" empfangen Halla Harðardóttir und Melkorka Ólafsdóttir die Schriftstellerin Vigdís Grímsdóttir in ihrer Küche. Das Gespräch führt durch Musikwünsche, Kindheitserinnerungen, das Spannungsfeld zwischen Fiktion und Wahrheit sowie die gesellschaftliche Verantwortung von Literatur. Die 70-jährige Autorin blickt auf ihr Leben, die Mutter als zentrale Figur, das frühe Schreiben und die Reaktionen auf ihre Bücher – besonders auf die 1989 erschienene Romanfigur Ísbjörg, die als erste isländische Protagonistin sexuelle Gewalt thematisierte.
Sprecher:innen: Halla Harðardóttir und Melkorka Ólafsdóttir (Moderator:innen), Vigdís Grímsdóttir (Schriftstellerin).
Hauptthema: Die Bedeutung von Musik, Kindheit, Erinnerung und gesellschaftlichem Engagement in Vigdís’ literarischem Werk.
### 1. Musik als Schreibmotor und Erinnerungsort
Vigdís erzählt, sie habe während des Schreibens immer laute Rock- oder Elektromusik gehört: „Ich habe gelernt, Elektromusik zu hören… Musik stört nicht, nicht mehr als Worte oder Kinder.“ Die Playlist wirkt wie ein Soundtrack zu ihrem Leben.
### 2. Die Mutter als „stärkste Person“ und stille moralische Instanz
Ihre 95-jährige Mutter prägte sie mehr als „alle Bücher, alle Bilder, alle Musik“: „Sie war niemals laut, niemals aufdringlich, immer mit heimlicher, brennender Wärme, die die stärkste Waffe der Welt ist.“
### 3. Zwischen Wahrheit und Lüge – das Spiel mit der Fiktion
Vigdís bezeichnet ihre Bücher als „alles zurückgenommen und wahr – außer dem, was dazwischen ist, das ist Lüge“. Das Erfinden von Geschichten begann schon in der Kindheit: „Ich lebte völlig in einer zweiten Welt in meinem Kopf.“
### 4. Die erste isländische Figur, die sexuelle Gewalt benennt, und die gesellschaftliche Reaktion
1989 erschien mit Ísbjörg eine „vielleicht negativste Figur der Literatur“; Leser verwechselten Figur und Autorin: „Ich spürte, dass ich böse war… es wurden mir hasserfüllte Briefe geschickt.“ Das Thema war damals tabuisiert.
### 5. Literatur als Mittel gegen Vergessen und für Frieden
Abschließend zitiert sie UN-Generalsekretär Guterres: „Frieden ist die kühnste, pragmatischste und notwendigste Anstrengung aller.“ Literatur müsse Hoffnung stärken, nicht „Herunterreißen“.
## Einordnung
Das Format ist ein gemütliches, unterhaltsames Porträt ohne journalistischen Anspruch. Gesprochen wird offen und persönlich, aber nicht kritisch. Vigdís bekomt viel Raum für Anekdoten, musikalische Einlagen und moralische Appelle; hinterfragt wird kaum. Die Moderator:innen übernehmen die Rolle bewundernder Gesprächspartner:innen, stellen aber kaum Nachfragen zu Widersprüchen – etwa, warum gerade Ísbjörg so viel Hass erntete oder wie sich ihre Sicht auf Sexualität und Gewalt seit 1989 verändert hat. Fehlende Perspektiven: Männliche Kolleg:innen, Kritiker:innen oder Betroffene, die ihre Darstellung ablehnen, kommen nicht zu Wort. Stattdessen zirkuliert die Botschaft, Literatur wirke „fast magisch“ und Frieden beginne im Kleinen – ein schöner, aber letztlich entpolitisierender Schlussakkord. Für Hörer:innen, die sich für isländische Literatur und persönliche Erinnerungen interessieren, dennoch ein berührender, weil sehr menschlicher Einblick.
Hörempfehlung: Wer eine ruhige, musikalische Porträtsendung über eine isländische Autorin sucht, ist hier genau richtig – wer kritische Fragen erwartet, wird sie nicht finden.