The Lawfare Podcast: Lawfare Daily: Wikipedia, Ref-Working, and the Battle Over Reality
** Wikipedia-Gründer Jimmy Wales über Vertrauen, Zensur und die Schlacht um die Wahrheit im Netz.
The Lawfare Podcast
57 min read3031 min audio**„Wikipedia ist kein soziales Medium – hier scheitern Bots an menschlicher Skepsis und kollektiver Kontrolle.“**
### Einordnung
Der *Lawfare Podcast* präsentiert ein Gespräch zwischen der Desinformationsforscherin Renée DiResta und Wikipedia-Gründer Jimmy Wales über die Herausforderungen, eine offene Wissensplattform in einer Ära des Misstrauens und der geopolitischen Instrumentalisierung zu verteidigen. Die Episode besticht durch ihre **reflektierte Diskursanalyse**: Statt Wikipedia als neutralen Monolithen zu inszenieren, wird die Plattform als **umkämpfter Aushandlungsraum** dargestellt, dessen Glaubwürdigkeit auf prozeduraler Transparenz und community-basierter Kontrolle beruht. Wales’ Argumentation vermeidet dabei einfache Lösungen – etwa die Forderung nach „mehr Fakten“ – und betont stattdessen **institutionelle Resilienz** durch partizipative Strukturen.
Ein zentraler Frame der Diskussion ist der **Konflikt zwischen Offenheit und Kontrolle**. Wales rahmt Wikipedia als **„Infrastruktur des Wissens“**, deren Autorität nicht auf top-down-Expertise, sondern auf **sichtbaren Debattenprozessen** beruht. Kritisch hinterfragt wird dabei die **Ökonomie der Aufmerksamkeit**: Während soziale Medien durch algorithmische Verstärkung von Polarisierung profitieren, funktioniere Wikipedia gerade durch die **Entschleunigung von Diskursen** („Flooding the zone“ bringe hier nichts). Diese Gegenüberstellung wird jedoch nicht moralisierend, sondern als **systemische Differenz** präsentiert – ein Stärke der Episode. Gleichzeitig reproduziert das Gespräch **hegemoniale Annahmen** über „Qualitätsjournalismus“: Die Abwertung rechter Medien als „populistisch“ oder „minderwertig“ (Wales: *„they do tend to be right-wing“*) bleibt unhinterfragt, obwohl sie selbst Teil eines polarisierten Diskurses ist.
Problematisch ist die **Ausblendung struktureller Machtasymmetrien**. Zwar wird die **Zensur durch autoritäre Regime** (Russland, China, Türkei) thematisiert, doch die **asymmetrische Repräsentation von Wissen** – etwa die Dominanz englischsprachiger Perspektiven oder die Unterrepräsentation marginalisierter Stimmen – bleibt unerwähnt. Hier zeigt sich eine **blinde Stelle des „neutralen Standpunkts“**: Wikipedia’s Anspruch auf Objektivität kollidiert mit der Realität, dass Wissen immer kontextabhängig und machtförmig ist. Die Episode hätte von einer kritischen Reflexion dieser Spannung profitiert.
**Hörempfehlung**: Für alle, die sich für **digitale Öffentlichkeit, Desinformation und institutionelles Vertrauen** interessieren. Besonders lesenswert ist die Diskussion über **KI als Werkzeug der Wissensproduktion** – etwa die Idee, Algorithmen für „neutrale“ Formulierungen in Community Notes einzusetzen. Die Episode bietet **keine einfachen Antworten**, aber eine **differenzierte Perspektive** auf die Mechanismen, die Wikipedia trotz aller Angriffe funktionsfähig halten.
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### Kernpunkte
* **Transparenz als Vertrauensanker**
Wales behaupte, dass die Sichtbarkeit von Debatten und Korrekturen – etwa durch Diskussionsseiten oder „Neutralitätswarnungen“ – Wikipedia von traditionellen Medien unterscheide. Diese Transparenz sei jedoch ambivalent: Sie ermögliche zwar Partizipation, führe aber auch zu **Fehlinterpretationen durch Außenstehende**, die interne Konflikte als „Skandale“ missverstünden.
> „I wish the New York Times would do this sometimes. You know, just put a little note at the top of an article saying, *we had a big fight in the newsroom, we weren’t sure we’re going to run this*.“
> (Übersetzung: *„Ich wünschte, die New York Times würde das manchmal tun. Einfach eine kleine Notiz oben im Artikel anbringen, die sagt: *Wir hatten einen großen Streit in der Redaktion, wir waren uns nicht sicher, ob wir das veröffentlichen*.“*)
* **KI als Werkzeug, nicht als Ersatz**
Wales skizziere ein **pragmatisches Verhältnis zu KI**: Statt Inhalte direkt zu generieren, solle sie **menschliche Arbeit unterstützen** – etwa durch Vorschläge für Quellen oder die Identifikation von Wissenslücken. Diese Haltung grenze sich bewusst von Projekten wie **Grokipedia** ab, die Wikipedia durch **kontroverse KI-generierte Inhalte** ersetzen wollten.
> „We are not envisioning […] to have AI producing content that goes directly to readers, just because the hallucination problem is still quite bad.“
> (Übersetzung: *„Wir planen nicht, […] dass KI Inhalte direkt für Leser:innen produziert, einfach weil das Halluzinationsproblem immer noch sehr ausgeprägt ist.“*)
* **Quellenkriege und politische Angriffe**
Die Diskussion thematisiere, wie Wikipedia zwischen **staatlicher Zensur** (Russland, China) und **politischer Instrumentalisierung** (US-Kongress) navigiert. Wales betone, dass die Plattform **keine inhaltlichen Zugeständnisse** mache, aber gleichzeitig **kritisch mit Quellen umgehe** – etwa durch die Abwertung von „minderwertigen“ Medien, die oft dem rechten Spektrum zugeordnet würden.
> „It’s completely intellectually irresponsible not to make judgments about sources. […] It’s not biased if you think this social media influencer is not as valid as the New England Journal of Medicine.“
> (Übersetzung: *„Es ist intellektuell unverantwortlich, keine Urteile über Quellen zu fällen. […] Es ist nicht voreingenommen, wenn man denkt, dass dieser Social-Media-Influencer nicht so valide ist wie das New England Journal of Medicine.“*)
* **Gemeinschaft statt Algorithmen**
Wales argumentiere, dass Wikipedia’s Stärke in der **menschlichen Moderation** liege: Im Gegensatz zu sozialen Medien, wo Bots durch Masse wirken könnten, scheiterten solche Strategien an der **kollektiven Skepsis** der Community. Diese Resilienz sei jedoch **kein Automatismus**, sondern hänge von der **„Gesundheit der Gemeinschaft“** ab – etwa der Fähigkeit, **kulturelle Kämpfe** von sachlichen Debatten zu trennen.
> „The way Wikipedia works is very different from social media, for example, where you can just flood the zone. […] That’s going to get you nowhere in Wikipedia.“
> (Übersetzung: *„Die Funktionsweise von Wikipedia ist sehr anders als bei sozialen Medien, wo man einfach die Zone fluten kann. […] Das bringt einen bei Wikipedia nirgendwo hin.“*)
* **Vertrauen in Institutionen neu denken**
Wales plädiere für eine **Rückbesinnung auf Zweckorientierung** – etwa bei Behörden wie der CDC, deren Aufgabe nicht politische Loyalität, sondern **evidenzbasierte Information** sein solle. Diese Forderung stehe jedoch im Kontrast zur aktuellen **Erosion öffentlicher Institutionen**, die durch **politische Einflussnahme** (z. B. die Manipulation von CDC-Seiten) beschleunigt werde.
> „The purpose of the CDC is not to fight Big Pharma. It’s not to support the president. The purpose of the CDC is to research and disseminate accurate, factual information.“
> (Übersetzung: *„Der Zweck der CDC ist nicht, gegen Big Pharma zu kämpfen. Es ist nicht, den Präsidenten zu unterstützen. Der Zweck der CDC ist es, akkurate, faktische Informationen zu erforschen und zu verbreiten.“*)
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### Sprecher:innen
* **Jimmy Wales** – Wikipedia-Gründer und Autor von *„The Seven Rules of Trust“*; plädiert für partizipative Wissensproduktion.
* **Renée DiResta** – Desinformationsforscherin (Stanford Internet Observatory); analysiert Angriffe auf digitale Wissensinfrastrukturen.