Changelog Master Feed: Biocomputing on human neurons (Changelog Interviews #654)

Ein Tech-Podcast über lebende Neuronen als Cloud-Service – faszinierende Wissenschaft, aber ohne kritische Ethik-Fragen.

Changelog Master Feed
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Die Episode "Biocomputing mit lebenden Neuronen" des Changelog-Podcasts führt Ewelina Kurtys, Leiterin der Forschung bei FinalSpark, ins Gespräch. Sie erklärt, wie aus menschlichen Hautzellen Neuronen gezüchtet und in einer Cloud-ähnlichen Plattform weltweit per Python-API angesteuert werden. Die Organoide besitzen etwa 10 000 Neuronen, leben bis zu 100 Tage und könnten laut Kurtys eine Million Mal energieeffizienter als Silizium-Chips sein. Die Forscher:innen stimulieren die Zellen elektrisch und setzen über UV-Licht freigesetztes Dopamin oder Serotonin als Belohnung, um "Lernen" zu fördern – mit bisher begrenztem Erfolg: Ein einzelnes Bit Information ließ sich zwar speichern, doch die Reproduzierbarkeit bleibt schwierig. FinalSpark sieht sich selbst auf einem zehnjährigen Weg zu einem post-silizium-basierten Allzweck-Biocomputer und bietet Universitäten sowie zahlenden Industrie-Kund:innen bereits Fernzugriff auf das Labor an. Die Moderator:innen verharren trotz komplexer Neurobiologie auf lockertem Tech-Podcast-Niveau, was zu teils vereinfachenden Vergleichen führt. ### Neuronen wären eine Million Mal energieeffizienter als Silizium Ewelina Kurtys erklärt: "Neurons are one million times more energy efficient. Of course, this is all estimation because we can have some idea about this by looking at human brain, which is built out of neurons." ### Menschliche Neuronen lassen sich online programmieren Über die FinalSpark-Plattform könnten Entwickler:innen "write Python code to do experiments because everything is connected to real neurons" – ein globales, browserbasiertes Labor. ### Lernen mit Dopamin und elektrischen Impulsen funktioniere nur ansatzweise Als Feedback nutze man Dopamin als Belohnung, doch "sometimes they learn, sometimes they don't" – die Plastizität lebender Materie erschwere reproduzierbare Ergebnisse. ### Ein Bit Speicherung sei bereits gelungen Das Team habe "able to store one bit of information" und dieses Experiment mehrfach wiederholen können – ein erster, kleiner Meilenstein. ### Ziel sei ein Cloud-basiertes Bioserver-Ökosystem Langfristig stelle man sich "huge structures, even 100 meters long of neurons" als zentrale Biocomputer vor, die wie heutige Cloud-Services genutzt werden. ### Forschung bleibe vorerst experimentell Obwohl Industrie-Kund:innen bereits zahlen, sei klar: "it's still R&D" und kein produktiver Einsatz für Bild- oder Sprachverarbeitung in Sicht. ## Einordnung Der Podcast präsentiert FinalSparks Biocomputing-Projekt als futuristische Lösung für die AI-Energiekrise, bleibt dabei aber auf Tech-Entertainment-Niveau. Statt kritisch zu hinterfragen, welche ethischen, rechtlichen oder sicherheitsrelevanten Fragen das Rechnen mit menschlichem Gewebe aufwirft, verharrt die Sendung in bewundernden Ausrufen („so cool“) und hollywoodreifen Metaphern („100-Meter-Neuronen-Server“). Die wissenschaftlichen Herausforderungen – mangelnde Reproduzierbarkeit, unklare Kodierung, begrenzte Lebensdauer – werden zwar erwähnt, aber nicht als strukturelle Risiken gewichtet. Stattdessen wird eine lineare Erfolgsstory gezeichnet: „10 Jahre bis zur Marktreife“. Fehlende Perspektiven sind die der Bioethik, der Regulierungsbehörden oder derjenigen, die sich fragen, wem diese lebenden Recheneinheiten eigentlich gehören. Die Sendung bedient damit ein narratives, das technologischen Fortschritt als unumkehrbar und alternativlos feiert – ohne die Machtverhältnisse zu hinterfragen, die solche Technologien prägen könnten. Hörempfehlung: Wer eine oberflächlich unterhaltsame Einführung in Biocomputing sucht und keine ethischen Tiefgang erwartet, kann reinhören – mit wissenschaftlichem Anspruch sollte man woanders weitersuchen.