The Lawfare Podcast: Lawfare Daily: Noah Feldman on the Supreme Court's Long Game
Harvard-Rechtsprofessoren diskutieren, ob das Supreme Court mit seiner Universal-Injunctions-Entscheidung Trump begünstigt oder strategisch eine Verfassungskrise vermeidet.
The Lawfare Podcast
56 min read3049 min audioAlan Rozenshtein, Senior Editor bei Lawfare und Associate Professor an der University of Minnesota, diskutiert mit Noah Feldman, dem Felix Frankfurter Professor of Law an der Harvard Law School, über die umstrittene Supreme Court-Entscheidung zu Universalverfügungen ("Supreme Court's decision to greatly limit universal injunctions"). Das 55-minütige Gespräch dreht sich um die Frage, ob diese Entscheidung - obwohl sie Trump kurzfristig begünstigt - Teil einer langfristigen Strategie des Gerichts sein könnte, um eine Verfassungskrise zu vermeiden.
### 1. Das Gericht spiele ein "langes Spiel" zur Vermeidung einer Verfassungskrise
Feldman argumentiere, der oberste Gerichtshof verfolge eine strategische Agenda, um eine direkte Konfrontation mit der Trump-Administration zu vermeiden, die das Gericht verlieren könnte. "The single most important job the Supreme Court has right now, and will have until the end of the Trump administration, presuming it comes to an end, is to protect the rule of law", erklärt Feldman. Dabei gehe es nicht nur um richtige Entscheidungen im Einzelfall, sondern darum zu verhindern, dass Trump Gerichtsentscheidungen ignoriere und dadurch "deeply and profoundly wounding the rule of law as a mode of life and of governance in the United States".
### 2. Universalverfügungen seien auch bei liberalen Juristen umstritten gewesen
Feldman betont, dass selbst Elizabeth Prelogar, Bidens Solicitor General, ihre Meinung zu Universalverfügungen geändert habe. "When I first, you know, came into office, I thought universal injunctions, they made a lot of sense, you know, judges were using them against Donald Trump. But after several years as Solicitor General of the United States, I changed my mind and started to think that they're a problem", zitiert er Prelogar. Diese Verfügungen seien ein relativ neues Phänomen, das hauptsächlich während der ersten Trump-Administration populär geworden sei.
### 3. Justice Barretts Originalismusansatz sei fehlerhaft
Obwohl Feldman die Entscheidung strategisch verteidige, kritisiere er scharf die juristische Methodik. Barrett habe Originalismuskonzepte auf ein Gesetz angewandt, obwohl Konservative normalerweise Textualismus für Gesetze verwendeten. "Good originalism would have reached the opposite conclusion", argumentiert Feldman, da historisch "equitable power was the power to create new kinds of remedies". Barrett habe Flexibilität, die das Wesen von Equity sei, in "a narrow, constrained, common law limitation" verwandelt.
### 4. Sammelklagen und staatliche Klagen blieben als Alternativen bestehen
Die Entscheidung eliminiere nicht alle Möglichkeiten für landesweite Verfügungen. Barrett habe ausdrücklich Sammelklagen und Klagen von Bundesstaaten im Namen ihrer Bürger als weiterhin verfügbare Instrumente erwähnt. Diese Mechanismen könnten ähnliche Ergebnisse wie Universalverfügungen erzielen, erforderten aber mehr Verfahrensschritte und seien in manchen Fällen schwerer anzuwenden.
### 5. Das Gericht erhalte insgesamt die Note B+ für seine Trump-Entscheidungen
Trotz der Kritik an einzelnen Entscheidungen bewerte Feldman die Gesamtleistung des Gerichts positiv. "On a whole range of very important issues, the court has said to the Trump administration, you've broken the rules", erklärt er. Das Gericht habe in vielen Fällen gegen die Administration entschieden und damit signalisiert, dass Trump "the radical things that Doge was doing that were lawful" machen könne, "but he couldn't do the things that were unlawful".
### 6. Justice Barrett als entscheidende Figur für die Rechtsstaatlichkeit
Feldman identifiziere Barrett als Schlüsselfigur, die trotz konservativer Überzeugungen konsequent rechtsstaatliche Prinzipien befolge. "Justice Barrett is a serious, committed conservative who fundamentally believes in following the rules", betont er. Ihre Haltung folge Justice Scalias Maxim "the rule of law is a law of rules", was bedeute, dass Gerichte Regeln auch dann befolgen müssten, wenn dies zu unerwünschten Ergebnissen führe.
## Einordnung
Dieses Gespräch zwischen zwei renommierten Rechtsprofessoren zeichnet sich durch bemerkenswerte intellektuelle Redlichkeit aus - Feldman verteidigt eine Position, die seiner eigenen rechtlichen Überzeugung widerspricht, weil er sie für strategisch sinnvoll hält. Die Diskussion zeigt exemplarisch, wie schwierig die Balance zwischen juristischer Prinzipientreue und politischer Pragmatik in Krisenzeiten ist. Besonders aufschlussreich ist Feldmans Definition einer Verfassungskrise als Situation, in der beide Staatsgewalten unnachgiebig auf unvereinbaren Positionen beharren, ohne dass die geschriebenen Regeln eine klare Lösung bieten.
Die Analyse leidet allerdings unter einer gewissen Elitenzentrierung: Beide Gesprächspartner bewegen sich ausschließlich in juristisch-akademischen Denkmustern und blenden systematisch aus, wie sich die diskutierten Rechtsentscheidungen auf die Betroffenen auswirken - etwa Menschen, die durch Trumps Staatsbürgerschaftsdekret ihrer Rechte beraubt werden könnten. Feldmans "B+"-Bewertung des Gerichts wirkt vor diesem Hintergrund zynisch, da sie primär die Aufrechterhaltung institutioneller Verfahren würdigt, während die substantiellen Rechtsverletzungen als hinnehmbare Kollateralschäden behandelt werden. Die Gesprächspartner erkennen zwar an, dass ihre Strategie kurzfristig Trump begünstige, unterschätzen aber möglicherweise, wie nachhaltig die Schwächung von Rechtsschutzmechanismen demokratische Institutionen beschädigen kann. **Hörempfehlung für alle, die verstehen möchten, wie Rechtseliten in Krisenzeiten zwischen Prinzipien und Pragmatismus navigieren - auch wenn die Perspektive der Betroffenen dabei zu kurz kommt.**