O Assunto: A guerra no Rio
Brasiliens führender Nachrichtenpodcast untersucht die verheerenden Folgen einer Polizeioperation im Complexo do Alemão und fragt nach Alternativen zur gewaltsamen Strategie.
O Assunto
16 min read2211 min audioDer brasilianische Nachrichtenpodcast "O Assunto" behandelt in dieser Folge die tödlichste Polizeioperation der Geschichte von Rio de Janeiro, bei der über 60 Menschen starben. Reporter Henrique Coelho erklärt, dass die Operation ursprünglich nur zum Freiräumen von Barrikaden gedacht war, eskalierte jedoch zu einem massiven Gefecht mit dem Comando Vermelho. Carolina Ricardo vom Instituto Sou da Paz berichtet, dass 2023 allein im Südosten Brasiliens 1.655 Sturmgewehre beschlagnahmt wurden. Beide Kritiker:innen betonen, dass die repressive Strategie der Polizei, die auf "töten, um zu verhaften" beruhe, die Gewalt nicht reduziere, sondern die Favelas weiterhin von kriminellen Organisationen kontrolliert würden. Die Diskussion zeigt auch die politischen Spannungen zwischen dem Bundesstaat Rio und der Bundesregierung über den Einsatz der Nationalen Sicherheitsstreitkräfte. Die Gesprächspartner:innen fordern stattdessen eine stärker auf Intelligenz und Ermittlungen fokussierte Sicherheitspolitik sowie strengere Waffenkontrollen, um den Zugang zu Kriegswaffen einzuschränken.
### Die Operation war ursprünglich nur zur Beseitigung von Barrikaden geplant
Henrique Coelho erklärt, die Operation sei nicht zur Besetzung der Favela oder zur Verhaftung von Drogenbossen gedacht gewesen. "Die Prämisse war, dass das Comando Vermelho Barrikaden errichtet hatte, um die Bewegungsfreiheit der Bewohner zu behindern. Das Ziel war, diese Straßen zu öffnen und Personen zu verhaften, die diese Barrikaden errichtet hatten."
### Die Polizeistrategie "töten, um zu verhaften" führe zu hohen Todeszahlen ohne nachhaltige Verbesserung
Laut Coelho habe die Operation zwar die Zugänge zu den Favelas geöffnet, "aber zu dem Preis von 60 Toten, was eine sehr hohe Zahl ist". Er kritisiert: "Was wir sehen, ist, dass sich die Polizei von Rio de Janeiro ihre Strategie, das Verbrechen zu bekämpfen, nicht geändert hat. Wir sehen eine Strategie des Tötens, um zu verhaften."
### Die brasilianische Waffengesetzgebung ermögliche massiven Zugang zu Kriegswaffen
Carolina Ricardo betont, dass allein 2023 im Südosten Brasiliens 1.655 Sturmgewehre beschlagnahmt wurden. "Wir haben eine sehr lockere Waffenpolitik in Brasilien. Wir haben sehr einfachen Zugang zu Schusswaffen, und diese Schusswaffen landen schließlich in den Händen krimineller Organisationen."
### Die Spaltung zwischen Bundesstaat und Bundesregierung blockiere effektive Sicherheitspolitik
Coelho erklärt, die Bundesregierung verfolge eine strategischere Sicherheitspolitik mit Fokus auf Intelligenz und Ermittlungen, während die Landesregierung von Rio de Janeiro auf repressive Operationen setze. Diese Divergenz verhindere eine effektive Bekämpfung des Verbrechens.
### Die geografische Lage der Favelas begünstige bewaffnete Konflikte
Die Favelas seien durch ihre Lage auf Hügeln und schwer zugänglichen Gelände ideal für das Comando Vermelho, das über erhebliche Feuerkraft verfüge. "Wenn die Polizei eindringt, muss sie sich auf einen großen Konflikt vorbereiten", so Coelho.
## Einordnung
Diese Folge von "O Assunto" demonstriert journalistische Professionalität durch klare Struktur, fundierte Expertise und kritische Distanz zur staatlichen Gewalt. Die Moderation von Natuza Nery ermöglicht es zwei unterschiedlichen Perspektiven - einer Reporter:innen vor Ort und einer Waffenexpertin - zu Wort kommen zu lassen und stellt zentrale Fragen zur Effektivität und Ethik der Polizeiarbeit. Besonders bemerkenswert ist die klare Benennung der politischen Verantwortungslosigkeit und die Kritik an der "töten, um zu verhaften"-Strategie, die in brasilianischen Medien oft unkritisch übernommen wird. Der Podcast zeigt, wie professioneller Journalismus funktioniert: Er beleuchtet komplexe Zusammenhänge, hinterfragt offizielle Narrative und bietet Expertise ohne Sensationsgehabe. Die fehlende Perspektive der Favela-Bewohner:innen und betroffenen Familien wird zwar nicht kompensiert, aber das Format als journalistische Analyse erfüllt seinen Anspruch durchweg überzeugend.