Input: Best of Input: Jungs: benachteiligt im Schulsystem?
Eine fundierte Reportage über die Benachteiligung von Jungen im Schweizer Bildungssystem und mögliche Lösungsansätze durch bewegungsorientierten Unterricht.
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2285 min audioDaniel Bodenmann untersucht in diesem journalistischen SRF-Podcast, warum Jungen im Schweizer Bildungssystem häufiger auffallen und schlechtere Leistungen zeigen. Der Moderator spricht mit Oberstufenlehrer Tim Schwander und Bildungsforscherin Christa Kappler über die strukturellen Herausforderungen des Systems.
### Jungen fallen im Schulalltag überproportional negativ auf
Schwander berichtet, dass Jungen in seinem Unterricht deutlich häufiger störten und Aufmerksamkeitsprobleme hätten. Es gäbe eine "gewisse Unruhe" bei männlichen Schülern, die sich schwerer täten, still zu sitzen und zuzuhören. "Die Jungs sind einfach unruhiger, sie brauchen mehr Bewegung", erklärt der Lehrer seine Beobachtungen aus dem Schulalltag.
### Das Bildungssystem bevorzuge typisch weibliche Verhaltensweisen
Kappler analysiert, dass die Schule traditionell auf Eigenschaften setze, die eher Mädchen zugeschrieben würden: "Stillsitzen, zuhören, anpassen - das sind Fähigkeiten, die im klassischen Unterricht belohnt werden." Jungen mit ihrem stärkeren Bewegungsdrang kämen dabei systematisch zu kurz. Das System habe sich wenig an die unterschiedlichen Lernbedürfnisse angepasst.
### Fehlende männliche Vorbilder verstärken das Problem
Besonders in der Primarschule gäbe es einen gravierenden Mangel an männlichen Lehrpersonen, erläutert Kappler. "Über 80 Prozent der Lehrpersonen sind weiblich - das hat Auswirkungen auf die Rollenvorbilder für Jungen." Diese könnten sich weniger mit ihren Lehrpersonen identifizieren und sähen Schule möglicherweise als "weibliche Domäne".
### Bewegungsorientierter Unterricht zeige vielversprechende Erfolge
Schwander demonstriert alternative Unterrichtsmethoden, bei denen Schüler:innen sich während des Lernens bewegen können. "Wenn wir Mathematik mit Bewegung verbinden, sind plötzlich auch die unruhigen Jungen voll dabei", berichtet er. Solche Ansätze würden beiden Geschlechtern helfen, aber besonders Jungen profitierten davon.
## Einordnung
Bodenmann liefert eine ausgewogene Reportage zu einem bildungspolitisch relevanten Thema, die sowohl persönliche Erfahrungen als auch wissenschaftliche Erkenntnisse einbezieht. Die Argumentation folgt einer klaren Struktur: Problemdarstellung, Ursachenanalyse und Lösungsansätze. Besonders stark ist die Verknüpfung von Praxisbeispielen aus dem Schulalltag mit bildungswissenschaftlicher Forschung. Kappler und Schwander ergänzen sich gut - die Forscherin liefert den theoretischen Rahmen, der Praktiker zeigt konkrete Umsetzungsmöglichkeiten. Kritisch anzumerken ist, dass die Diskussion teilweise in traditionellen Geschlechterklischees verhaftet bleibt, auch wenn sie diese zu hinterfragen versucht. Die Gefahr essentialistischer Zuschreibungen ("Jungen sind eben so") wird nicht immer vermieden. Zudem fehlen Stimmen von Schüler:innen selbst sowie kritische Perspektiven zur Pathologisierung männlicher Verhaltensweisen. Die vorgeschlagenen Lösungen beschränken sich weitgehend auf didaktische Anpassungen, strukturelle Reformen des Bildungssystems bleiben ausgeklammert.