Die sogenannte Gegenwart: Ikkimel und Zartmann: Female Empowerment und neue Männlichkeit?

Die ZEIT-Feuilleton-Podcast-Folge analysiert Zartmann und Icky Mel als Spiegel der Gen Z – zwischen Mainstream-Kritik und feministischer Selbstsexualisierung.

Die sogenannte Gegenwart
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Die letzte Folge vor der Sommerpause von "Die sogenannte Gegenwart" wagt sich erstmals seit fünf Jahren an Popmusik: Nina Pauer und Lars Weisbrod analysieren die Phänomene Zartmann und Icky Mel als vermeintliche Sprachrohre der Gen Z. Dabei streiten sie über Mainstream-Qualität, Männlichkeitsentwürfe und feministische Strategien der Selbstsexualisierung. Nebenbei diskutieren sie Decathlon als Megatrend, BND-Merch und Transvestigating-Verschwörungen. Die Sendung endet mit der Frage, ob dies der "letzte Sommer in Frieden" sei – eine These, die beide klar zurückweisen. ### 1. Zartmann als post-Deutschrap-Phänomen Zartmann gelte als Paradebeispiel für eine neue Männlichkeit jenseits des klassischen Deutschraps. Seine Musik sei zwar "optimiert fürs Weghören", aber eben nicht mehr hinter die "kulturelle Hegemonie" des Rap zurückfallbar. Seine Texte über Berlin-Feierkultur und Liebeskummer wirkten erfrischend direkt – im Gegensatz zu früheren melancholischen Männer-Sängern wie Bon Iver, die "alleine im kanadischen Wald" trauerten. ### 2. Icky Mels provokante Selbstinszenierung Icky Mel habe sich mit stumpfem Bums-Techno und explizit sexualisierten Texten vom Deutschrap verabschiedet. Ihre Figur der "Berliner Partyatzenfrau" spiele bewusst mit Dominanz und Macht – etwa wenn sie Männer dazu auffordere, Kokain von ihrem Körper zu ziehen. Die Frage, ob dies feministisches Empowerment sei, bleibe offen. ### 3. Feminismus und Vulgarität als Strategie Die Debatte kreise um die Reclaiming-Strategie vulgärer Sprache: Icky Mel nutze abwertende Begriffe wie "Fotze" bewusst, um sie umzudeuten. Die Moderator:innen blieben skeptisch – Nina Pauer gestand, sie könne mit dieser Strategie "nicht mitgehen", während Weisbrod sie als "Zwischenschritt" sah. ### 4. Die Aura der Aufnahmesituation Ein neues Phänomen sei die Inszenierung der Podcast-Aufnahme selbst: Moderator:innen wichen bewusst vom Mikrofon ab, um "Authentizität" zu signalieren. Diese "Dreidimensionalität der Aufnahmesituation" werde zum Statussymbol – vergleichbar mit BND-Merch, das Geheimdienste plötzlich hip macht. ### 5. Transvestigating und rechte Verschwörungen Rechte Verschwörungstheoretiker:innen würden prominenten Frauen wie Taylor Swift oder Michelle Obama unterstellen, "eigentlich Männer" zu sein. Dieses "Transvestigating" zeige eine "freudianische Panik" vor mächtigen Frauen und sei Teil eines größeren rechtsextremen Narrativs. ## Einordnung Die Folge zeigt das Dilemma eines Feuilleton-Podcasts, der sich auf Popkultur einlässt: Zwischen ironischer Distanz und bewusster Naivität pendelnd, bleibt die Analyse oft an der Oberfläche. Besonders problematisch wirkt die Diskussion um Icky Mel – während vulgäre Selbstsexualisierung als mögliches Empowerment diskutiert wird, bleiben Machtstrukturen und mögliche Schäden für junge Hörer:innen unbeleuchtet. Die Verschwörungstheorien zu Trans-Personen werden zwar benannt, aber nicht kontextualisiert. Positiv: Die bewusste Selbstreflexion über die eigene Rolle als Medienschaffende und die Ironisierung des "letzten Sommers in Frieden" als politisches Manöver. Dennoch: Wer tiefergehende Popkultur-Analyse sucht, wird hier nur oberflächliche Beobachtungen finden.