Fritz Simon und Andreas Kollar diskutieren in der sechsten Folge des „Erkenntnistheoretischen Führerscheins“ die Macht der Sprache in Beratung und Therapie. Sie unterscheiden sorgfältig zwischen Beschreibung, Erklärung und Bewertung und zeigen, wie sich durch diese Unterscheidung therapeutische Interventionen gezielter gestalten ließen. Am Beispiel des Begriffs „Widerstand“ wird veranschaulicht, wie unklare Begriffe Konflikte verschärfen. Die Gesprächspartner:innen betonen, dass Bedeutung nicht im Wörterbuch, sondern im Gebrauch entstehe – ein Prozess, der durch Geschichten stärker beeinflusst werde als durch Theorien. Eine selbstgebaute „Paradoxie-Maschine“ aus Lampe und Lichtsensor illustriert, wie sprachliche Paradoxien in endlosen Schleifen enden können. Die Episode fordert dazu auf, Sprache bewusster als Werkzeug zur Konstruktion von Realität einzusetzen. ### 1. Sprache verdichtet Beschreibung, Bewertung und Erklärung In Alltag und Profession vermische Sprache drei Ebenen: „Beschreiben“ (Was ist beobachtbar?), „Erklären“ (Welche Kausalität wird unterstellt?), „Bewerten“ (Wie wird es gewertet?). Ohne Trennung bleibe unklar, worauf Gesprächspartner:innen reagieren. ### 2. Der Begriff „Widerstand“ funktioniere als Beispiel für unreflektierte Begriffs-Pakete „Widerstand“ trage psychoanalytisches Erbe und verbinde oft implizit Bewertung („sollte nicht“) mit Beschreibung. Dies führe in Beratung zu Missverständnissen, weil unklar bleibe, ob Verhalten, Gefühl oder Bewertung angesprochen sei. ### 3. Erklärungsmuster steuern Handlungsoptionen Ob jemand seine Niedergeschlagenheit mit „Jobverlust“, „Lotterie-Ticket verloren“ oder „Neuronen“ erkläre, entscheide über Folgehandlungen: neue Stelle suchen, Medikamente nehmen oder abwarten. Die jeweilige Kausalzuschreibung öffne oder schließe bestimmte Wege. ### 4. Geschichten überdauern Theorien Theorien objektivieren von außen und hätten eine Halbwertszeit. Geschichten bindeten Hörer:innen über Identifikation ein und wirken länger, weil sie Emotionen und Handlungsdramaturgie bereitstellen – ein zentraler Grund für narrativ orientierte Therapie. ### 5. Sprache schaffe weiche und harte Realitäten Psychische Realität sei „weicher“ und durch neue Beobachtung oder Erzählung veränderbar, während physische Realität (Wände, Strom) „härter“ widerstehe. Die Unterscheidung helfe, Interventionen realistisch zu planen. ### 6. Paradoxien erzeugen Oszillation statt Lösung Eine Lampe, die über einen Lichtsensor sich selbst steuert, oszilliere zwischen an/aus – ein technisches Korrelat für sprachliche Paradoxien („Ich lüge gerade“). Diese Logik der Sprache führe in Beratung und Alltag zu endlosen Ja/Nein-Schleifen, wenn Prozesse mit binären Aussalen beschrieben werden. ## Einordnung Der Podcast folgt einem didaktisch klaren Konzept: Zwei erfahrene Systemiker plaudern locker, bleiben aber strukturiert. Simon führt durch prägnante Beispiele (Unfall, Lampe, Tempolimit), Kollar stellt nachvollziehbare Nachfragen. Die Atmosphäre ist persönlich, wissenschaftliche Tiefe entsteht durch konkretes Vorgehen, nicht durch Fachjargon. Die wiederholte Straßenverkehr-Metapher verankert abstrakte Sprachtheorie im Alltag und macht die Folge für Berater:innen, Coaches und interessierte Laien gleichermaßen zugänglich. Kritisch bleibt, dass gesellschaftliche Machtfragen (z. B. wer Deutungshoheit erlangt) nur angerissen, nicht aber systematisch analysiert werden; hierarchische oder rassistische Diskurse bleiben außen vor. Dennoch liefert die Episode eine unterhaltsame Einführung in konstruktivistische Sprachreflexion mit handfesten Werkzeugen für die Praxis. Hörempfehlung: Wer in Beratung, Pädagogik oder Therapie arbeitet und lernen will, wie Sprache Realitäten öffnet oder blockiert, findet hier eine anschauliche, theoretisch fundierte Einführung mit vielen Beispielen zum sofortigen Mitnehmen.