Das Politikteil: Europa als Spielball: Wie kann der Kontinent zwischen USA, China und Russland bestehen?
Live aus Hamburg analysiert Daniela Schwarzer, warum Europa seine geopolitische Lethargie überwinden muss, um in der Machtwelt der Großmächte zu bestehen.
Das Politikteil
54 min read3366 min audioDas Politikteil live vom Hamburg Science Summit 2025 diskutiert mit der erfahrenen Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer über Europas Zukunft zwischen den Großmächten USA, China und Russland. Die Stunde konzentriert sich auf drei Leitfragen: Warum Europa die Jahre seit Trumps erster Amtszeit verschlafen habe, wie es aus der Defensive heraus eigene Gestaltungsmacht entwickeln könne und welche neuen Bündnisse – etwa mit Indien oder wieder mit Großbritannien – notwendig seien. Dabei wird deutlich, dass die EU zwischen Wunsch nach Autonomie und fortbestehender Abhängigkeit von US-Sicherheitsgarantien zerrt. Die Aufzeichnung wirkt wie ein Plädoyer für mehr europäische Eigenständigkeit, ohne Atlantikbrücken vollständig abzubrechen.
### Europa habe die Warnungen der ersten Trump-Ära ignoriert
Daniela Schwarzer wirft der EU vor, die „Final Call“-Phase nach Trump I verschlafen zu haben. Sie habe zwar gesehen, dass die USA künftig „enormen Druck“ ausüben könnten, doch die Hoffnung auf die Rückkehr zur transatlantischen Normalität habe Reformen blockiert. „Wir haben leider die Jahre verschlafen“, sagt Schwarzer, weil viele dachten: „Jetzt kommen wir zurück zu unserem stabilen Verhältnis, wir können uns wieder ausruhen.“
### Abhängigkeit von USA und China gelte als strategische Falle
Die Expertin betont, dass Europa von beiden Seiten „sehr massive Abhängigkeiten“ aufweise – etwa bei Sicherheit (USA) und Rohstoffen/Märkten (China). Diese doppelte Abhängigkeit sei „keine Gewinnerstrategie“, wenn Großmächte sich so verhalten wie gegenwärtig. Europa müsse deshalb in Verteidigung, KI und Green Tech eigene Kapazitäten aufbauen.
### Gemeinsame Schulden seien nötig, um „europäische öffentliche Güter“ zu finanzieren
Ein Kernvorschlag Schwarzers lautet, die EU solle wieder gemeinsame Anleihen begeben – analog zum Corona-Hilfsfonds –, um grenzüberschreitende Infrastruktur (Strom, Digital) und Verteidigung zu finanzieren. Nur so könnten Lücken in nationalen Haushalten gefüllt und „europäische öffentliche Güter“ geschaffen werden, ohne Nettozahler übermäßig zu belasten.
### Deutschland versage beim Start-up-Ökosystem
Ein großes Manko sieht Schwarzer in der Innovationskraft: Nach der ersten Finanzierungsrunde würden viele Gründer*innen in die USA abwandern, weil dort „ein ganz anderes Umfeld, ein ganz anderer Zugang zu Kapital“ bestehe. Europa brauche einen tiefen Kapitalmarkt und bessere Rahmenbedingungen, damit Talente „hier erfolgreich sein können und nicht woanders“.
### Rechtspopulismus sei keine Hauptursache für Integrationsstillstand
Auf die Frage, ob der Rechtsruck in Europa die Vertiefung blockiere, antwortet Schwarzer, viele Reformen seien schon in Zeiten möglich gewesen, „als der Druck der Rechtspopulisten noch nicht so groß war“. Die Einstimmigkeit in der EU zu brechen, habe oft an mangelndem politischen Willen, nicht nur an Populismus gelegen. Kleingruppen-Initiativen („Pesco“ in der Sicherheit) könnten auch künftig voranschreiten, ohne neue Vertragskonferenzen.
## Einordnung
Das Gespräch ist ein typisches Beispiel für qualitätsjournalistische Beratung: klare Fragen, klare Antworten, keine Polemik. Die Moderation gelingt es, eine komplexe geopolitische Analyse in einem flüssigen 60-Minuten-Gespräch zu destillieren. Besonders gelungen ist die Balance zwischen Selbstkritik und Zukunftsoptimismus: Europa werde nicht scheitern, weil es rechte Strömungen gebe, sondern wenn es an strategischem Durchhaltevermögen mangle. Kritisch anzumerken ist, dass wirtschaftspolitische Alternativen zur Schuldenunion nur kurz angerissen und mögliche Widersprüche (z.B. zwischen offener Kapitalmarktunion und technologischem Protektionismus) nicht weiter hinterfragt werden. Dennoch liefert die Episode eine fundierte Entscheidungshilfe für Hörer*innen, die verstehen wollen, warum Europa wieder von vorn beginnen muss.