Der taiwanesische Kulturpodcast „只能喝酒的圖書館“ („Nur eine Bibliothek, in der man trinken darf“) folgt dem bewährten Format zweier Freunde, die bei einem Glas über Identität, Beziehungen und Lebensängste plaudern. Moderator Hank lauscht in dieser Episode der persönlichen Erzählung seiner Co-Moderatorin Ting, die mithilfe eines intensiven Traums ihre lange unterschwellige Abhängigkeit von anderen erkennt. Die beiden sprechen offen über die Frage, was es bedeutet, „sich selbst zu sein“, und wie schwer es fallen kann, die eigenen psychologischen Muster anzunehmen. ### 1. Ein Traum als Auslöser für Selbsterkenntnis Ting erzählt, sie habe in nur zwei Stunden Schlaf einen lebhaften Traum gehabt, in dem sie mit einer Person darüber diskutiert habe, was „sich selbst sein“ bedeute. Im Traum habe sie die Überzeugung geäußert: „Wenn man Rücksicht auf andere nimmt, ist das kein Sich-selbst-Sein.“ Dieser Satz habe im Traum wie eine Offenbarung gewirkt und sie beim Aufwachen stutzig gemacht: „Warum kann ich mich selbst im Traum noch streiten?“ ### 2. Die Erkenntnis: „Ich bin abhängig“ Beim Nachdenken über ihre Beziehungsgeschichte sei ihr klar geworden, dass sie ein „abhängiger Persönlichkeitstyp“ sei. Sie habe online Symptome recherchiert und sei dabei „direkt getroffen“ worden. Dies habe sie erschreckt, weil sie sich immer als eigenständig und selbstversorgend gesehen habe: „Ich dachte, ich sei unabhängig, aber ich brauche ständig eine Person an meiner Seite, die mich beschützt.“ ### 3. Ursprung in der Kindheit Ting führt ihre Abhängigkeit auf frühe Erfahrungen zurück: Als Kind sei sie ängstlich gewesen, habe aber keine Beruhigung von den Eltern erhalten. „Ich habe meine Angst runtergeschluckt und gedacht, ich muss allein klarkommen.“ Dieses Muster habe sich fortgesetzt: „Ich suche jemanden, der mich beschützt, traue aber niemandem – auch mir selbst nicht. Das ist total verdreht.“ ### 4. Zehn Jahre „verdrehte“ Beziehungen Nach ihrer ersten intensiven Beziehung habe sie ein Jahrzehnt lang „verdreht“ nach neuen Bindungen gesucht: „Ich wollte mich anlehnen, aber gleichzeitig habe ich keinem vertraut.“ Das habe zu chaotischen Partnerschaften geführt, weil sie „nic mehr wusste, wie echte Nähe funktioniert“. ### 5. Akzeptanz als „abhängiger, aber cooler Typ“ Inzwischen versuche sie, ihre Abhängigkeit anzunehmen – mit Humor: „Ich übe mich darin, abhängig zu sein, aber trotzdem cool auszusehen.“ Sie habe gelernt, dass Verletzlichkeit keine Schwäche bedeuten müsse: „Ich darf anfällig sein und trotzdem ich selbst sein.“ ## Einordnung Die Episode ist ein typisches Beispiel für das boomende Genre des intimen Gesprächspodcasts, bei dem sich die Sprechenden gegenseitig therapeutisch zuhören. Die Stärke liegt in der Offenheit, mit der Ting ihre Biografie entlang von Angst, Verlust und Suche nach Geborgenheit entfaltet; sie verzichtet auf Selbstmitleid und liefert stattdessen eine detailreiche Selbstbeobachtung. Die Schwäche des Formats zeigt sich, wenn allgemeine Lebensweisheiten („die Antworten haben wir im Herzen“) ohne empirische Evidenz als universelle Erkenntnisse präsentiert werden. Der Podcast beansprucht keinen journalistischen Anspruch; er ist ein Selbsterfahrungsraum, in dem Emotionen und Assoziationen freien Lauf haben. Für Hörer:innen, die Selbstgespräche als Spiegel für die eigenen Unsicherheiten suchen, kann die Folge eine unterstützende, aber eben auch eine sehr eindimensionale Perspektive bieten – Expert:innen oder differenzierbare Gegenpositionen fehlen.