Die Reportage: Flucht aus dem Sudan - Zerbrechliche Zwischenstation Ägypten
Die Reportage zeigt sudanesische Geflüchtete in Ägypten, die ohne legale Perspektive kulturelle Inseln des Selbstvertrauens schaffen.
Die Reportage
40 min read1896 min audioDer Deutschlandfunk-Kultur-Podcast „Die Reportage“ begleitet Reporter Max-Marian Unger nach Ägypten, wo seit dem Ausbruch des sudanesischen Bürgerkriegs 2023 Millionen Menschen in die Flucht getrieben wurden. In Asuan und Kairo erzählen sudanesische Geflüchtete, wie sie illegal durch die Wüste gelangten, in rechtlicher Schwebe leben und trotzdem ein Netzwerk aus Kunst-, Therapie- und Musikprojekten aufbauen. Die zentrale Erzählinie folgt der Therapeutin Sarah und ihrer Tochter Schat, die traumatisierte Flüchtlinge behandeln und dabei selbst mit ihrer eigenen Verletzlichkeit ringen. Weitere Stimmen sind der Filmemacher Abdalla Obed, die Rapper Awab und Tarik sowie die Kuratorin Hadil Osman. Das Hauptthema ist das prekäre Neben- und Miteinander von Flucht, (Un-)Sicherheit und kultureller Selbstbehauptung im Exil.
### 1. Illegale Wüstenroute als einzige Option
Viele Geflüchtete berichten, dass legale Visa kaum noch erteilt würden oder mit 3.000 Dollar Security-Gebühr unbezahlbar seien. Die einzige Alternative sei die mehrere Tage dauernde Offroad-Fahrt durch die Wüste, bei der Banden die Menschen ausrauben, weil sie wissen, „dass sie in ihrer Lage nicht zur Polizei gehen können“. Abdalla Obed resümiert: „Ich sah so viele Menschen dort sterben.“
### 2. Prekäres Dasein ohne Status
Offiziell seien nur etwa 20 % der Sudanesen registriert. Die übrigen 80 % erhielten keine staatlichen Dienstleistungen, würden aber in Statistiken mitgezählt, „um sich selbst als belasteter darzustellen und ausländische Gelder zu bekommen“, kritisiert Menschenrechtsanwalt Gamal Aid. Susanne, vierfache Mutter, erzählt, sie dürfe nicht arbeiten und ihre Kinder könnten staatliche Schulen nicht besuchen: „Wie genau soll ich all dieses Geld auftreiben?“
### 3. Psychisches Trauma und sexualisierte Gewalt
Schat und Sarah behandeln fast täglich Überlebende von Massenvergewaltigungen. Eine 15-Jährige sei von der RSF entführt, vier Tage lang als „Sexpuppe“ missbraucht und schließlich für tot auf die Straße geworfen worden. Nach der Geburt des daraus resultierenden Kindes beging die Schwester Suizid. Schat betont: „Es ist nicht deine Schuld. Du hast nichts falsch gemacht.“
### 4. Zivilgesellschaft organisiert sich selbst
Ohne staatliche Hilfe entstehen lokale Initiativen: das Krankenhaus in Asuan behandelt für umgerechnet 2 Dollar oder kostenlos, das Hotel bot vorübergehend Notunterkünfte, Künstler bilden Netzwerke. Hadil Osman erklärt, besonders Frauen hätten Familien zur Flucht mobilisiert und übernahmen nun Verantwortung: „Zum ersten Mal konnten sie zeigen, dass auch sie fähig sind, das Leben ihrer Familie zu sichern.“
### 5. Kulturelle Selbstbehauptung als Überlebensstrategie
In einem kleinen Kairoer Club veranstalten Musiker wie Awab und der 60-jährige Tarik Konzerte, um „Sudan in a better way during the war“ zu vertreten. Tarik, der 11 Tage durch die Wüste lief, hält seine Gitarre: „Sie ist wie mein Herz, meine Seele.“ Die gemeinsame Musik vermittelt das Gefühl, wieder „wie zu Hause“ zu sein.
## Einordnung
Die Reportage arbeitet mit durchaus wirksamen narrativen Stilmitteln: persönliche Schicksale, dichte Atmosphäre, wechselnde Erzählebenen. Doch sie bleibt weitgehend deskriptiv und stellt kaum strukturelle Fragen. Die ägyptische Politik wird nur durch einen einzigen Menschenrechtsanwalt kritisch beleuchtet; europäische oder UN-Politik kommen gar nicht vor. Die Tatsache, dass EU-Mittel die ägyptische Grenzsicherung finanzieren, bleibt unerwähnt. So entsteht der Eindruck, Flucht und Leid seien vor allem Naturkatastrophen, nicht aber politisch gemachte Realitäten. Die stärkste Leistung des Beitrags liegt darin, den sudanesischen Geflüchteten eigene Stimmen zu geben und ihre Selbstorganisation sichtbar zu machen. Wer Hintergründe zur europäischen Migrationspolitik oder zur ägyptischen Regierungspolitik erwartet, wird nicht bedient. Hörempfehlung für Hörer:innen, die emotionale Einzelschicksale und kulturelle Eigeninitiativen im Fokus suchen – mit Einschränkungen für politische Tiefe.