In dieser knapp 90-minütigen Episode von ChinaTalk begrüßt Jordan Schneider den Analysten Dan Wang zu dessen Debüt als Solointerviewpartner. Wang stellt sein erstes Buch "Breakneck" vor und diskutiert mit Schneider die Spannung zwischen "engineering states" und "lawyerly societies", wobei China als Ingenieur-Staat und die USA als Anwaltsgesellschaft kontrastiert werden. Die beiden sprechen über die 1980er Jahre in China als widersprüchliche Dekade von kultureller Blüte und brutaler Repression, wobei Wang besonders die Grausamkeit des Ein-Kind-Politik-Regimes hervorhebt. Sie reflektieren über Methoden der China-Analyse, von Parteizeitschriften bis zu Feldforschung, und diskutieren die Ambivalenz zwischen der bequemen, aber repressiven chinesischen Gesellschaft und der chaotischen, aber pluralistischen amerikanischen. Ein zentraler Punkt ist die Karriere von Li Qiang nach den Shanghai-Lockdowns, die als Beleg für die Dominanz von Loyalität über Kompetenz in Xis China interpretiert wird. Die Gesprächsweise ist persönlich und reflektiert, mit häufigen Seitenhieben auf die politischen Systeme beider Länder. ### Die 1980er als Chinas widersprüchlichste Dekade Wang beschreibt die 1980er als "Chinas interessanteste Dekade", in der einerseits kulturelle Blüte und intellektuelle Debatten florieren, andererseits die brutale Durchsetzung der Ein-Kind-Politik Millionen von Menschenleben zerstöre. Schneider ergänzt, dass diese Zeit auch eine "lawyerly energy" in der Partei aufweisen habe, die später unterdrückt wurde. ### Die Ein-Kind-Politik als unterschätztes Trauma Wang betont, die Ein-Kind-Politik sei "understudied and undertheorized". Er zitiert Schätzungen von 40 Millionen "fehlender Mädchen" durch femicide und spricht von über 300 Millionen staatlich durchgeführten Abtreibungen. Schneider ergänzt, dass diese Kapitel ihn besonders berührt habe, seit er selbst Vater sei. ### Die Methode des "synthetischen Wissens" Wang beschreibt seine Herangehensweise als bewusst unsystematisch: Er kombiniere die Lektüre von Parteipublikationen wie "Qiushi" mit Reisen durch Provinzen wie Guizhou und Gesprächen mit Geschäftsführern in Shanghai. Diese "synthetische" Methode ermögliche ein vielschichtiges Verständnis, ohne sich auf eine einzelne Perspektive festzulegen. ### Pluralismus vs. Bequemlichkeit Die beiden diskutieren, warum viele Chines:innen trotz der bequemen Infrastruktur in Städten wie Shanghai letztlich in die USA auswandern. Schneider argumentiert, dass das Bedürfnis nach Meinungsfreiheit und kreativer Ausdrucksmöglichkeit über materielle Bequemlichkeit siegen kann. Wang stimmt zu, mahnt aber an, dass die USA ihre eigenen Probleme lösen müssten, ohne China als Rechtfertigung zu nutzen. ### Loyalität über Kompetenz: Der Fall Li Qiang Als Beleg für die dysfunktionale Beförderungslogik in Xis China führen sie Li Qiang an, der nach dem verhassten Shanghai-Lockdown zum Premierminister aufstieg. Schneider vergleicht dies mit einer fiktiven Kandidatur von Anthony Fauci als Vizepräsidentschaftskandidatin in den USA. ## Einordnung Das Gespräch zeigt zwei scharfsinnige Beobachter, die China nicht als Monolithen, sondern als komplexe Gesellschaft mit widersprüchlichen Entwicklungen analysieren. Die journalistische Qualität liegt in der bewussten Vermeidung von Schwarz-Weiß-Malerei - weder wird China dämonisiert noch die USA idealisiert. Besonders bemerkenswert ist die Offenheit, mit der persönliche Erfahrungen (Wangs Ehefrau erlitt eine Fehlgeburt während des Schreibens über die Ein-Kind-Politik) eingebracht werden. Die Perspektivenvielfalt ist gegeben durch die Kombination von historischer Analyse, persönlicher Erfahrung und systematischer Beobachtung. Kritisch anzumerken ist, dass die marginalisierten Perspektiven (Uiguren, Tibeter) nur am Rande erwähnt werden - Wang rechtfertigt dies mit fehlender Zugangsmöglichkeit, was die systematische Ausblendung dieser Stimmen dennoch reproduziert. Die Diskussionskultur ist durchweg respektvoll und sucht nach nuancierten Erklärungen statt nach einfachen Schuldzuweisungen.