11KM: der tagesschau-Podcast: Schwarz-rote Koalition unter Stress: Die Macht der Fraktionschefs

ARD-Korrespondent Georg Schwarte erklärt, wie eine rechte Kampagne und Führungsversagen die schwarz-rote Koalition in die Krise stürzte.

11KM: der tagesschau-Podcast
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Georg Schwarte vom ARD-Hauptstadtstudio analysiert die Krise der schwarz-roten Koalition nach der geplatzten Verfassungsrichterwahl. Er erklärt, dass nicht die Regierungsebene, sondern die Fraktionen von CDU/CSU und SPD in der Krise steckten. ### Fraktionschefs versagten bei der Verfassungsrichterwahl Die Routineabstimmung über drei neue Verfassungsrichter:innen scheiterte, weil Unionsfraktionschef Jens Spahn seine Fraktion nicht kontrollieren konnte. "Zwei Stunden vor dieser Abstimmung musste Jens Spahn SMS schicken an seinen Fraktionsgegenüber von der SPD, an Matthias Mirsch und musste sagen, hey, ich habe meinen Laden nicht im Griff", berichtet Schwarte. Dies sei bereits Spahns zweiter großer Fehler nach der verpatzen Kanzlerwahl von Friedrich Merz. ### Rechte Kampagne beeinflusste CDU-Abgeordnete Eine orchestrierte Kampagne von Abtreibungsgegner:innen hätte maßgeblich zum Scheitern beigetragen. "Rechte Netzwerke haben Stimmung gemacht, da sind Beiträge auch mit Werbung finanziert gekauft worden in rechten Netzwerken. Da sind Fake News veröffentlicht worden", erklärt Schwarte. CDU-Abgeordnete erhielten hunderte Mails und ließen sich davon beeinflussen, obwohl CDU-Ministerpräsident:innen dies kritisch sahen. ### Spahn sei als Fraktionschef ungeeignet Jens Spahn entspreche nicht dem Profil eines Fraktionschefs. "Der ist eigentlich eine Rampensau, der will nach vorne, der will mitteilen. Der war für Friedrich Merz die wichtigste Waffe im Wahlkampf. Der hat attackiert ohne Ende. Aber das ist nicht die Rolle eines Fraktionschefs", analysiert Schwarte. Ein Fraktionschef müsse "den Laden zusammenhalten", nicht die große Bühne suchen. ### Tiefer Frust in beiden Fraktionen In beiden Regierungsfraktionen herrsche Unmut über Kompromisse gegen die eigene Überzeugung. Bei der Union gebe es Frustration über "Ampel-Reloaded-Politik", während die SPD mit 13 Prozent in Umfragen und nur noch 120 Abgeordneten kämpfe. "Da hat man also gegen eigene Überzeugungen je nach Lager, Union oder SPD bei manchen Fragen abgestimmt. Und da hat sich was angestaut." ### Merz und Klingbeil arbeiten gut zusammen Trotz der Fraktionsprobleme funktioniere die Zusammenarbeit zwischen Kanzler Friedrich Merz und Vizekanzler Lars Klingbeil. "Die beiden haben offenbar geschafft, was Teile der Fraktionen und der Parteien nicht geschafft haben. Die Reset-Taste zu drücken", so Schwarte. ### Herbstreformen als Bewährungsprobe Die anstehenden Reformen bei Rente, Krankenkassen und Pflege würden zeigen, ob die Koalition ihre Versprechen einlösen könne. "Wenn sie da jetzt nicht liefern, dann hat diese Koalition tatsächlich ein großes Problem." ## Einordnung Schwarte liefert eine fundierte Analyse der Koalitionskrise, die über oberflächliche Berichterstattung hinausgeht. Seine langjährige Erfahrung als Hauptstadtkorrespondent ermöglicht präzise Einschätzungen der Machtdynamiken und Persönlichkeiten. Besonders wertvoll ist seine Einordnung der rechten Kampagne gegen die Verfassungsrichterkandidatin - ein Aspekt, der in der öffentlichen Debatte oft unterbelichtet bleibt. Die Analyse macht deutlich, wie externe Akteure demokratische Prozesse beeinflussen können, wenn Fraktionsführungen versagen. Schwarte benennt klar die Rolle von Fake News und organisierten Kampagnen, ohne diese zu verharmlosen. Seine Kritik an Jens Spahn ist scharf, aber faktisch begründet. Die Darstellung der unterschiedlichen Führungsstile und ihrer Auswirkungen auf die Koalitionsarbeit ist erhellend. Einzig die Konzentration auf die Berliner Politikebene lässt gesellschaftliche Dimensionen der Krise außen vor.