Dlf Doku: In der Grauzone - Machtmissbrauch im Kulturbetrieb
Das Feature rekonstruiert, warum öffentliche Förderinstitutionen Machtmissbrauch beim Film Festival Cologne jahrelang ignorierten.
Dlf Doku
12 min read2629 min audioDas Feature "In der Grauzone – Machtmissbrauch im Kulturbetrieb" (Deutschlandfunk, 2024) rekonstruiert ein Jahr nach öffentlichen Machtmissbrauchs-Vorwürfen gegen die Alleingeschäftsführerin Martina Richter das Geschehen beim mit einer Million Euro öffentlich geförderten Film Festival Cologne. Ausgehend von Sprachnachrichten der ehemaligen Mitarbeiterin Christina Bröker („pures Gift“, „totally on fire“) zeichnen die Autor:innen über Monate ein Bild systematischer Angst, hoher Fluktuation und verschärfter Machtverhältnisse, die trotz zweier offener Briefe und angekündigter Prüfungen bislang weitgehend folgenlos blieben. Die Sendung wirft zentrale Fragen zur Kulturbranche auf: Warum schweigen Förderinstitutionen, Politik und Branche? Welche Strukturen machen öffentlich finanzierte „Aushängeschilder“ immun für Kritik?
### 1. Festival lebt von öffentlichem Geld, aber nicht von Transparenz
Die Film- und Medienstiftung NRW, Stadt Köln und Land NRW pumpen jährlich rund eine Million Euro in das privat organisierte Festival – ein vergleichsweise großes Budget. Die Gelder fließen ohne öffentliche Aufsicht an eine GmbH, die allein Martina Richter gehört und deren Entscheidungen intern bleiben. Die Sprecherin der Stiftung, Valet Nak Spandi, lobt den „diskursiven“ Charakter, thematisiert aber nicht, warum Förderverträge trotz bekannt gewordener Vorwürfe nicht überprüft wurden.
### 2. Offene Briefe blieben folgenlos – die Schweigespirale hält
Nach dem ersten Brief ehemaliger Mitarbeitender („Machtmissbrauch, ausbeuterisches System, Klima der Angst“) und einem zweiten Brief des aktuellen Teams verlautbarten Stadt, Land und Stiftung lediglich kurze Statements: „Wir prüfen.“ Danach trat Ruhe ein. Die damalige Oberbürgermeisterin Henriette Reker erkannte die Vorwürfe in ihrer Festrede an, forderte „offenen Austausch“ – doch der fand laut Recherche „wenig nennenswerte Tatsachen“ statt. Die GmbH ist weiter im Amt.
### 3. Ehemalige Mitarbeitende berichten von psychischen Narben
Mehrere Gesprächssequenzen („ich habe den Kopf auf die Tischkante gelegt und habe geweint“, „ich war einfach so fertig“) belegen, wie subtile Zermürbung in langjährige psychische Belastung übergeht. Die hohe Fluktuation („kaum eine andere Kulturinstitution“) wird von Interviewpartner:innen als offenes Branchengeheimnis beschrieben; doch wer öffentlich wird, riskiert schlechte Arbeitszeugnisse und Blacklisting.
### 4. Geschäftsführung legitimiert Konflikte als Führungsstil
In einem FAZ-Interview räumte Martina Richter „hohe Erwartungen an Leistungsbereitschaft“ ein, die „naturgemäß immer mal zu Konflikten“ führen. Diese Selbstnormalisierung von Führung durch Druck offenbart laut Feature ein strukturelles Problem: Solange Förderinstitutionen auf „künstlerische Erfolge“ schauen, bleibt Personalverantwortung Privatsache.
### 5. Branchenweites Tabu: Machtmissbrauch wird mit öffentlichen Mitteln belohnt
Die Sendung zeigt, dass das Festival nur ein Beispiel ist. Die These: Kulturinstitutionen fungieren als „Aushängeschilder“ für Städte und Länder, deshalb werde Kritik intern abgewürgt. Die Autor:innen sprechen von einem „offenen Geheimnis“, das sich durch öffentliche Förderung perpetuiert: Preise, Premieren, roter Teppich rechtfertigen die Weitergabe von Steuergeldern ohne Kontrolle auf Arbeitsbedingungen.
## Einordnung
Das Feature erfüllt hohe journalistische Standards: Es versammelt belastbare Zeugenaussagen, dokumentiert interne Kommunikation und stellt Förderinstitutionen zur Rede. Besonders wirksam ist die Montage von Sprachnachrichten, Zahlen und Statements – sie lässt Zuhörer:innen selbst den Kontrast zwischen Glanz-Events und Arbeitsrealität erfahren. Gleichzeitig bleibt die Erzählung auf die Opferperspektive fokussiert; Martina Richter kommt nur durch zwei kurze öffentliche Zitate zu Wort. Gerade dadurch entsteht eine klare moralische Rahmung, die aber nie in Sensationslust kippt. Der Beitrag macht deutlich, wie sehr sich Kulturinstitutionen durch öffentliche Aufmerksamkeit absichern: Solange rote Teppiche und internationale Stars die Legitimation liefern, bleibt interne Kritik folgenlos. Die dokumentierte Schweigespirale – Politik, Förderer, Branche – ist das eigentliche Skandalöse. Der Ton bleibt sachlich, die Botschaft lautet: Demokratisch finanzierte Kultur muss auf Arbeitsrechte genauso rechenbar sein wie auf künstlerische Output.