Der Philosophie-Podcast "Sternstunde Philosophie" spricht mit Wikipedia-Gründer Jimmy Wales über die Geschichte, den Anspruch und die aktuellen Herausforderungen des Online-Lexikons. Im Zentrum steht die Frage, ob Wikipedia angesichts von Grokipedia (Elon Musk) und KI-Modellen noch relevant ist. Wales verteidigt die kollegiale, quellenbasierte Methode und wirbt für ein Konsensmodell, das verschiedene Standpunkte möglichst fair abbildet. ### Wikipedia entstand aus Open-Source-Idee und persönlicher Krankenhaus-Erfahrung Als sein Vorgängerprojekt Nupedia scheiterte, erinnerte sich Wales an die Wiki-Software: "Ich tippte die ersten Worte auf Wikipedia: Hello World. Und klickte auf Speichern. Dann ging es los." Den finalen Anstoß gab der Aufenthalt mit seiner neugeborenen, beatmungspflichtigen Tochter: Er wollte Eltern kostenlose, verlässliche Informationen bieten. ### Konsens statt objektive Wahrheit: Neutralität bedeutet für Wales "verschiedene Ansichten fair darstellen" Er räumt ein, dass absolute Objektivität schwer zu erreichen sei; Wikipedia suche deshalb nach einem "Konsens" unter den Bearbeitenden. Wales zitiert das Motto: "Mehr Augen sehen mehr Fehler", und betont, dass schlechte Beiträge durch transparente Diskussion und reputationsbasierte Kontrolle aussortiert würden. ### Grokipedia wähle gezielt den „bösen Blick“, um schwarze Polizei-Opfer zu diskreditieren Am Beispiel George Floyd zeigt Wales, wie sich unterschiedliche Erzählstränge aufdrängen. Wikipedia beginne mit dem Tod durch den Polizisten, Grokipedia mit Floyds Vorstrafen. Wales mutmaßt: "Man könnte spekulieren, dass ein gewisses Verständnis für die Tötung mittelloser schwarzer Männer durch die Polizei dazu führt, als erstes die Verbrechen zu nennen, um sie als schlechte Person darzustellen." ### KI-Modelle trainieren mit Wikipedia, verlinken aber oft nicht – das stört Wales Er sieht die unbegrenzte Nachnutzung grundsätzlich positiv: "Alle wichtigen Modelle trainieren mit Daten von Wikipedia. Sie sind lizenzfrei und man kann damit machen, was man will." Kritisch bemerkt er, dass Quellenangaben fehlen und fordert stärkere Verlink zurück auf die freie Enzyklopädie. ### Kritik von Ex-Mitgründer Larry Sanger und US-Rechten nennt Wales "nicht relevant" Vorwürfe, Wikipedia sei "globalistisch" oder links-autoritär, weist Wales zurück: "Das ist grob gesagt weder richtig noch relevant." Er kontert, dass wissenschaftliche Kriterien und Aufklärungswerte gelebt würden, Boulevard- und Influencer-Meinungen hingegen nicht mit Fachliteratur gleichgestellt würden. ## Einordnung Das Gespräch wirkt wie eine freundliche, aber konzentrierte Verteidigung des Wikipedia-Modells. Der Interviewer stellt zwar kritische Gegenbeispiele (Grokipedia, Sanger), verzichtet aber auf harte Nachfragen, etwa warum bestimmte Themen tatsächlich länger von einer einseitigen Perspektive geprägt sind. Wales’ These, „Neutralität“ entstehe durch Community-Konsens, bleibt unhinterfragt – das Spannungsfeld zwischen Mehrheitsmeinung und marginalisierten Standpunkten wird nur angerissen. Auch die Machtfrage, wer über „Expertise“ entscheidet und welche Sprachräume unterrepräsentiert sind, bleibt ausgeblendet. So bleibt der Eindruck einer souveränen, aber letztlich selbstreferenziellen Erfolgsstory. Hörempfehlung für alle, die Wikipedia als Kulturtechnik verstehen wollen – wer eine kritische Auseinandersetzung mit Machtstrukturen im Wissenssystem erwartet, bekommt sie hier nur ansatzweise.