RONZHEIMER.: Der Tag, der alles veränderte. Mit Johann Wadephul
Außenminister Johann Wadephul im Gespräch über zwei Jahre Krieg, deutsche Israel-Politik und die Hoffnung auf einen Waffenstillstand.
RONZHEIMER.
2253 min audioPaul Ronzheimer spricht in Tel Aviv mit Außenminister Johann Wadephul zum zweiten Jahrestag des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023. Wadephul schildert seine Erinnerungen an den Tag, spricht über die anfängliche Solidarität mit Israel, das spätere Umschwenken der deutschen Position und die aktuellen Friedensbemühungen. Die Diskussion dreht sich um Waffenlieferungen, Antisemitismus in Deutschland, die humanitäre Lage in Gaza und die Frage, wie Deutschland künftig mit Israel umgehen sollte.
### 1. Wadephul erkannte früh den langen Konfliktverlauf
Bereits am Tag nach dem 7. Oktober habe er in der CDU/CSU-Fraktion gesagt: "Da wird es jetzt eine Reaktion geben, die wir am Anfang in Ordnung finden und wo wir im späteren Verlauf vielleicht zu dem Ergebnis kommen, Israel übertreibt es jetzt." Seine Fraktionskolleg:innen hätten damals nicht verstanden, warum er von einem "erbitterten Kampf" ausgehe. Heute zeige sich, dass er die Dauer richtig eingeschätzt habe, auch wenn er nicht an zwei Jahre gedacht habe.
### 2. Die geringe Teilnehmerzahl an Solidaritätskundgebungen irritierte ihn
Bei der Gedenkveranstaltung am Brandenburger Tor seien "nicht so viele Menschen gekommen, wie alle gedacht haben". Wadephul vermutet als Grund eine „gewisse Entfremdung“ durch Israels Siedlungspolitik. Er betont jedoch: „Kritik an der israelischen jeweiligen Regierung [darf] nicht automatisch Kritik am Staat Israel und erst recht nicht Kritik an dem Volk sein, also an den Juden und Jüdinnen."
### 3. Bundesregierung stoppte Waffenlieferungen nach Gaza-Embargo
Deutschland habe Rüstungsgüter zurückgehalten, nachdem Israel „ein komplettes Embargo für den Gazastreifen“ verhängt und „keine humanitäre Hilfe mehr hinein gelassen“ habe. Wadephul weist Kritik an der Wende zurück: „Dazwischen ist genau das passert, was ich gerade eben beschrieben habe.“ U-Boot-Teile und andere Systeme zur Landesverteidigung würden weiter geliefert.
### 4. „Zwangssolidarität“ war „nicht richtig gewählt“
Seine Rede-Formulierung, Deutschland dürfe sich nicht in „Zwangssolidarität“ drängen lassen, bezeichnet er als „Fehler“, den er „mehrfach“ eingestanden habe. Der Kern bleibe: Auch frühere Bundesregierungen hätten Regierungsmaßnahmen Israels kritisiert. Das Wort sei in einer Diskussion spontan gefallen, „das ist keine vorbereitete Rede“ gewesen.
### 5. Deutschland lehnt EU-Sanktionen gegen israelische Hardliner ab
Trotz europäischer Debatten über Strafmaßnahmen gegen Nationalitärminister Ben-Gvir und Finanzminister Smotrich hält Wadephul an der deutschen Ablehnung fest: „Wir sehen auch zum jetzigen Zeitpunkt keinen Anlass derartige Maßnahmen zu ergreifen.“ Stattdessen konzentriere man sich auf die Vermittlung eines Waffenstillstands und der Freilassung aller Geiseln.
### 6. Optimismus auf Friedensinitiative – aber nur „innerhalb der nächsten Woche“
Nach Gesprächen mit Katar, Israel und Ägypten zeigt sich der Außenminister „optimistisch“, dass eine „erste Einigung“ möglich sei: Waffenstillstand, Freilassung der Geiseln und humanitäre Hilfe. Scheitere diese Chance, „werden wir uns andere Szenarien ansehen“. Druck auf die Hamas sei nötig: „Sie müssen jetzt einschlagen, sonst wird es bittere Konsequenzen geben."
## Einordnung
Das Gespräch wirkt wie eine Balance-Akt-Übung zwischen unbedingter Sicherheitsgarantie für Israel und der Selbstermächtigung zu gelegentlichem Widerspruch. Wadephuls argumentative Strategie: Historische Verbundenheit und militärische Kooperation zuerit anführen, dann punktuell deutsche Bedenken einstreuen. Dabei nutzt er das journalistische Setting, um seine Positionen zu entlasten („Fehler“-Eingeständnis) und sich als maßvoller Vermittler zu inszenieren. Kritische Gegenstimmen – palästinensische Betroffene, Abgeordnete seiner eigenen Koalition, Menschenrechtsexpert:innen – fehlen völlig; stattdessen dominieren militärische und sicherheitspolitische Logiken. Die Sendung transportiert damit eine klar regierungszentrierte Sicht auf den Nahen Osten und bestätigt Paul Ronzheimers Stil, durch persönliche Nähe zu Entscheidungsträger:innen Deutungshoheit zu generieren. Die Folge liefert keine überraschenden Einsichten, aber viel Material, um die deutsche Außenpolitik in ihrer Balance zwischen atlantischer Solidarität und europäischem Eigeninteresse zu verstehen.