Kontext: Víðsjár ist ein isländischer Kulturpodcast, den Halla Harðardóttir und Melkorka Ólafsdóttir moderieren. In dieser 55-minütigen Folge vom 23. Oktober 2024 stehen drei Themen im Fokus: die Elektronik-Festival-Eröffnung "Erkitíð" mit dem Stück "Ljósið í mér sér ljósið í þér" der Klangheilerin Vala Gestsdóttir, die Retrospektive "Tímaflakk" zu den Medienarbeiten der 1940 geborenen Steina Vasulka sowie die Ausstellung über Islands erste Handwerksmeisterin Ásta Árnadóttir (1883-1969) im Duus-Museum Reykjanesbær. Hauptthema: Klangheilung, Frauengeschichte und Technologie in der zeitgenössischen und historischen isländischen Kunst. ### 1. Klangheilung als Selbstheilung und Bühnenkonzept Die klassisch ausgebildete Bratschistin Vala Gestsdóttir berichtet, wie nach plötzlichem Hörverlust und Gehirntumor das Studium von Klangfrequenzen und ostasiatischer Energiemedizin zu ihrer Genesung beigetragen habe. Sie nutze planetarisch gestimmte Gongs, Kristallschalen und Tonstufen, um "Blockaden" im Körper zu lösen. Für das Festival komponierte sie ein Stück, das "das Licht in mir erkennt das Licht in dir" – eine direkte Übersetzung von „Namaste“. In isländischen Wellness-Zirkeln sei es längst üblich, „mit dem ganzen Körper“ zu lauschen, wobei die Schwingungen "von innen massieren". ### 2. Musikinstrumente als Heilungswerkzeuge – wissenschaftliche Evidenz fehlt Vala beschreibt, wie Gong-Klänge aufgrund ihrer "dichten Schallwellen" Gehirnwellen überlagern und so Angst abschwächen könnten. Kristallschalen wirken ähnlich. Für diese Behauptung liefert sie keine Studien, sondern verweist auf jahrhundertealte ostasiatische Praxis. Sie verschwimmt bewusst die Grenze zwischen Konzert und Therapie: Besucher dürften im Saal liegen oder sitzen, Hauptsache sie empfängen die Frequenzen. Obwohl sie als „Klangheilerin“ arbeitet, betont sie, dass Heilung "immer in uns selbst" stattfinde. ### 3. Künstlerische Selbstfindung versus kommerzielles Wellness-Angebot Die Moderatorinnen feiern Völas Weg als Erfolgsstory: vom Orchestermusiker zur Sound-Heilerin und nun zurück zur Bühne. Dabei bleibt unklar, wie stark ihre Tönung medizinische oder eher unterhaltende Qualität hat. Kritik oder Distanz an der Esoterik-Szene fehlt völlig. Stattdessen wird die Überzeugung transportiert, dass „richtige Frequenzen“ Körper und Psyche in Sekundenschnelle stabilisieren – eine Botschaft, die vor allem Frauen ab 40 mit Burn-out-Symptomen ansprechen dürfte. ### 4. Ásta Árnadóttir: Pionierin gegen Rollenzwang Die 1883 geborene Ásta wollte „nicht Dienstmädchen, sondern selbständig“ sein. 1907 bestand sie als erste Isländerin die Gesellenprüfung als Malerin, 1910 in Hamburg die Meisterprüfung – während sie alleinerziehend war. Die Ausstellung zeigt Fotos, Briefe und Werkzeuge; Zeitzeuginnen berichten, wie Ásta nach Heimkehr ein rein weibliches Fest in ihren Ehren veranstaltete und später ein Malerinnen-Unternehmen gründete, bis es von männlichen Kollegen boykottiert wurde. Ihre Geschichte wird als Teil des „Frauenjahres 2024“ inszeniert. ### 5. Steina Vasulka: Technologische Poesie und Überwachungskritik Die 1940 auf Island geborene Steina nutzte bereits in den 1970er-Jahren Video-Synthesizer und selbstgebaute Elektronik, um abstrakte Bild-Ton-Kompositionen zu erzeugen. Die Retrospektive „Tímaflakk" (Zeitreisen) spannt den Bogen von frühen Schwarz-Weiß-Arbeiten bis zur jüngsten Installation „Samhliða brautir", die der verstorbenen Ehemann Woody Vasulka widmet. Ein zentrales Thema: „Maschinelle Sicht" – wie Kameras den Betraster bespielen und so an gegenwärtige Überwachung erinnern. Die Moderation lobt, dass man „kein Technik-Nerd sein“ müsse, um die Poesie zu spüren. ## Einordnung Die Sendung mischt Unterhaltungs- mit Wissensformat: Während Ástas historische Leistungen faktenbasiert und inhaltlich tief ausgeleuchtet werden, rückt der Beitrag über Vala in die Nähe eines Wellness-Advertorials. Es bleibt bei unkritischem Nach-Erzählen von Esoterik-Konzepten wie „Planetentönen“ oder „Energieblockaden“, ohne auf wissenschaftliche Evidenz oder mögliche Placebo-Effekte einzugehen. Die Sprecherinnen übernehmen zwar keine eigene Heilversprechen, bestätigen durch Nachfragen und begeisterte Kommentare jedoch die Wirkungsbehauptungen der Interviewten. Die Klangheilung wird so zur Selbstverständlichkeit, was gerade bei Hörer:innen mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen problematisch sein kann. Gleichzeitig gelingt es, mit Steina Vasulkas medienkritischer Kunst ein Gegengewicht zu schaffen: Hier wird Technik nicht als Wundermittel, sondern als künstlerische Reflexion von Macht und Überwachung präsentiert. Insgesamt dominiert jedoch eine affirmative Haltung gegenüber alternativmedizinischen Angeboten, was den Podcast für wissenschaftskritische Hörer:innen weniger attraktiv macht. Hörwarnung: Wer fundierte Informationen zu Klangtherapien sucht oder sich von Esoterik-Angeboten leicht beeinflussen lässt, sollte mit gesundem Zweifel und viel Selbstschutz rechnen.