Der Deutschlandfunk-Podcast „Der Tag“ vom 23. Oktober 2023 beleuchtet zwei Schwerpunkte: die Verabschiedung des 19. EU-Sanktionspakets gegen Russland sowie die heftige Debatte um Kanzler Friedrich Merz’ Aussagen zum „Stadtbild“ und zu Abschiebungen, die er mit dem Appell „Fragt eure Töchter“ untermauert hatte. Korrespondent Klaus Remme erläutert aus Brüssel, dass das neue Paket vor allem den Importstopp für russisches Flüssiggas (2027) und eine bessere Durchsetzung früherer Maßnahmen bringe; strittig sei noch, wie mit 140 Mrd. Euro eingefrorenen russischen Zentralbankreserven umgegangen werden soll. Die Journalistin Sarah Zerback diskutiert mit der Rechtsanwältin Asha Hedaati über Merz’ Wortwahl. Hedaati wirft ihm vor, geschlechtsspezifische Gewalt zu instrumentalisieren, da die meiste Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich stattfinde und nicht von Migranten ausgehe; die Rhetorik schürfe Rassismus und entwerte Menschenleben. ### Tether werde für illegale Aktivitäten genutzt Es gibt keine Bezugnahme auf Tether oder Kryptowährungen; der Abschnitt ist nicht relevant. ### EU einige sich schnell auf 19. Sanktionspaket, Uneinigkeit über eingefrorene Vermögenswerte Die EU-Staaten hätten sich nach wochenlanger Blockade durch die Slowakei auf das 19. Sanktionspaket verständigt, sagt Klaus Remme. Hauptpunkt sei der schrittweise Importstopp für russisches Flüssiggas, wobei kurzfristige Verträge noch sechs Monate laufen dürften und langfristige ab 2027 verboten seien. Die 140 Mrd. Euro eingefrorener Zentralbankreserven lägen weiter in Belgien; man streite noch über die rechtliche Konstruktion eines kreditbasierten Hilfsinstruments für die Ukraine. „Die EU will die Gelder nicht konfiszieren … sondern sie als Absicherung nutzen“. ### Merz fordere Abschiebungen und verbinde sie mit Frauenangst Friedrich Merz habe in einer Rede mehr Abschiebungen gefordert und damit begründet, dass „viele Menschen … einfach Angst [hätten] sich im öffentlichen Raum zu bewegen“. Er spreche von Menschen „ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus“, die „nicht arbeiten“ und „sich auch nicht an unsere Regeln halten“. Diese bestimmten „das öffentliche Bild in unseren Städten“. ### Studie: Medien übertönen Ausländeranteil bei Gewalt Asha Hedaati verweist auf eine frisch veröffentlichte Studie, der zufolge Medien Gewalttaten von „ausländischen oder migrantischen Männern“ deutlich häufiger thematisieren, als es der tatsächlichen statistischen Verteilung entspreche. Dieses überhöhte Medienbild trage dazu bei, ein „Klima der Angst“ zu erzeugen, das teilweise „nicht begründet“ sei. ### Strukturelle Unterfinanzierung von Gewaltschutz Hedaati kritisiert, dass etwa der Kinder- und Jugendhilfebereich seit Jahren „chronisch unterfinanziert“ sei und der Gewaltschutz „im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode gekürzt“ werde. Es brauche mehr Sozial- und Wohnungspolitik, um Betroffenen die Trennung von gewaltvollen Beziehungen zu ermöglichen. ### Sprache erzeuge Gewalt Merz’ Rhetorik sei nicht nur „nutzbringend“, sondern selbst gewaltfördernd, weil sie rassistische Zuschreibungen verstärke und „Menschenleben entwerte“. „Rassistische Rhetorik erzeugt Gewalt, sie teilt die Gesellschaft in wir und die, sie schürt Misstrauen.“, so Hedaati. ## Einordnung Der Podcast arbeitet journalistisch professionell: Moderation und Korrespondent geben nüchtern Kontext, nutzen Fakten und lassen Expert:innen zu Wort kommen. Dennoch offenbart sich eine diskursive Schieflage: Die Angst von Frauen wird zwar zugelassen, doch die Expertin ist alleinige Gegenstimme zum Kanzler. Weder Soziolog:innen noch Opferberatungsstellen oder Vertreter:innen der CDU/CSU kommen vor, sodass die Sendung die Polarisierung eher abbildet als einzudämmen. Die Kritik an Merz bleibt substanziell, bleibt aber in der medialen Rezeption isoliert. Die EU-Sanktionspolitik wird als notwendiger „langer Atem“ präsentiert; alternative Friedensimpulse oder Kosten für die eigene Wirtschaft bleiben unausgesprochen. Insgesamt liefert „Der Tag“ eine klare, wenn auch nicht vollständig ausgewogene Informationslage – kein Unterhaltungs-, sondern ein Erklärschau-Format mit Anspruch. Wer sich schnell in die aktuelle geopolitische und innenpolitische Lage einlesen will, erhält hier eine solide Grundlage – wer differenzierte Debatten sucht, muss weiterhören oder ergänzende Quellen nutzen. Hörempfehlung: Gute Tagesübersicht mit Hintergrundinfos, aber wegen einseitiger Gästeauswahl nicht alleiniger Audio-Ratgeber.