11KM: der tagesschau-Podcast: Nuklearer Schutz: Braucht Deutschland eigene Atomwaffen?
ARD-Korrespondent Oliver Neuroth erklärt Deutschlands Position im nuklearen Abschreckungssystem und warum eigene Atomwaffen rechtlich und politisch ausgeschlossen sind.
11KM: der tagesschau-Podcast
27 min read1542 min audioIn der 11KM-Folge "Atomwaffen: Sind wir noch sicher?" spricht Elena Kuch mit Oliver Neuroth vom ARD-Hauptstadtstudio über die Rolle Deutschlands im nuklearen Abschreckungssystem. Anlass ist der 80. Jahrestag des ersten Atombombentests der USA am 16. Juli 1945.
### Russlands Atomdrohungen blieben bisher folgenlos
Russland drohe seit über drei Jahren mit dem Einsatz von Atomwaffen, sei es gegen die Ukraine oder die NATO, so Neuroth. "Aber Russland droht und droht und droht, aber es passiert nichts. Und das ist dann doch, naja, zumindest ein kleiner Beleg oder ein vorsichtiger Beleg dafür, dass es wirklich nur eine Drohung ist und nicht wirklich ein Plan, den Russland verfolgen will." Dennoch verfüge Russland laut Militärexperten über ein besonders diverses Arsenal taktischer Nuklearwaffen, die teilweise in unmittelbarer Nähe Deutschlands stationiert seien.
### Deutschland sei durch NATO-Mitgliedschaft und nukleare Teilhabe geschützt
Deutschland profitiere vom "nuklearen Schutzschirm" der USA durch die NATO-Mitgliedschaft und die nukleare Teilhabe, erklärt Neuroth. "Wir profitieren also vom Schutz der NATO-Partner, auch nuklear, aber müssen eben uns auch engagieren, die Bundeswehr eben konkret und dann eben im Fall der Fälle diese US-Atombomben transportieren." Etwa 20 US-Atomwaffen seien auf dem Flugplatz Büchel stationiert, die deutsche Tornados transportieren könnten. Diese würden bald durch moderne F-35-Kampfflugzeuge ersetzt.
### Eigene deutsche Atomwaffen seien rechtlich ausgeschlossen
Eine deutsche Nuklearbewaffnung sei aufgrund des Atomwaffensperrvertrags und des 2-plus-4-Vertrags rechtlich nicht möglich, so Neuroth. "Dazu kommt noch, das wäre politisch heikel, wenn wir aufrüsten würden, nuklear also den Nachbarstaaten zu erklären, warum wir unbedingt Atomwaffen nun wollen." Auch technisch wäre es aufwendig, da Deutschland aus der Atomkraft ausgestiegen sei.
### Frankreich und Großbritannien könnten nuklearen Schutz verstärken
Frankreich und Großbritannien wollten bei der nuklearen Abschreckung enger kooperieren, was Europa stärken könnte. CDU-Politiker Friedrich Merz halte es für sinnvoll, wenn französische Atomwaffen auch Deutschland schützen würden. "Gemeinsam verfügen beide Länder über etwas mehr als 500 Sprengköpfe, ein Zehntel dessen, was die USA ungefähr besitzt", rechnet Neuroth vor.
### Trumps Unberechenbarkeit sorge für Unsicherheit
Die Verlässlichkeit der USA unter Donald Trump bereite Sorgen, so Neuroth. "Bei Donald Trump weiß man ja bekanntlich nie so wirklich. Das ist die große Sorge fast aller Staats- und Regierungschefs auf diesem Planeten." Bisher stehe Trump aber zu den NATO-Verpflichtungen, da die Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsausgaben erhöht hätten.
### Deutsche Politiker äußerten sich kaum zu Atomwaffen
Auffällig sei, dass sich deutsche Politiker ungern zu Atomwaffen äußerten, berichtet Neuroth. "Es fällt einfach auf, dass wenn man Interviewanfragen stellt zu dem Thema, Da kommt sehr seltene Antwort." Das Thema sei zu sensibel und könne Ängste schüren.
## Einordnung
Die Folge liefert eine sachliche Einordnung der deutschen Position im nuklearen Abschreckungssystem, wobei Neuroth als erfahrener Korrespondent komplexe sicherheitspolitische Zusammenhänge verständlich erklärt. Positiv fällt auf, dass er russische Atomdrohungen nüchtern als Drohgebärden einordnet, ohne Panik zu schüren. Die Analyse der deutschen Abhängigkeit von US-Schutz und der rechtlichen Hürden für eigene Atomwaffen ist fundiert.
Kritisch anzumerken ist, dass die Darstellung sehr NATO-zentriert bleibt und friedenspolitische Positionen oder Abrüstungsperspektiven kaum thematisiert werden. Die Normalisierung des Atomwaffenbesitzes als notwendiges Übel wird nicht hinterfragt. Auch die Rolle Deutschlands als Stationierungsland für US-Atomwaffen wird unkritisch dargestellt, ohne die damit verbundenen Risiken oder ethischen Fragen zu diskutieren. Die Einschätzung, Deutschland stehe "ganz gut da", wirkt angesichts der beschriebenen Abhängigkeiten und Unsicherheiten zu optimistisch. Eine breitere Perspektive auf Alternativen zur nuklearen Abschreckung fehlt völlig.
Die Folge bietet solide Informationen für alle, die sich über Deutschlands sicherheitspolitische Position informieren möchten, bleibt aber in etablierten Denkmustern verhaftet.