Was jetzt?: Spezial "Der Wahlkreis": "Herbst der Entscheidungen" – oder bloß Theater?
Die ZEIT-Journalist:innen analysieren 110 Tage Merz-Kanzlerschaft und fragen, ob hinter der Führungsrhetorik tatsächlich Substanz steckt.
Was jetzt?
71 min read3217 min audioDer Podcast "Was jetzt? – Der Wahlkreis" der ZEIT fragt nach der Sommerpause, ob aus dem angekündigten "Herbst der Entscheidungen" tatsächlich große Reformen würden. Die Hosts Lisa Caspari, Paul Middelhoff und Robert Pausch diskutieren die Lage der Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz.
### Klöckner würde das Amt der Bundestagspräsidentin umdeuten
Julia Klöckner verbiete das Hissen der Regenbogenflagge am Reichstag und stelle sich damit bewusst parteipolitisch auf. Robert Pausch konstatiere: "Das wirft Klöckner in dieser Neubesetzung in ihrer Rolle aus dem Fenster."
### Dobrind würde mit Tempo und Symbolik die Migrationspolitik wenden
Alexander Dobrind setze Asyl-Zurückweisungen an den Grenzen, stoppe den Familiennachzug und kündige Abschiebungen nach Afghanistan an. Paul Middelhoff berichtet, Dobrind wolle "die Polarisierung heilen", indem er ein Thema anpacke, "dass die Bevölkerung seit vielen Jahren als riesen Problem empfindet".
### Die Unionsfraktion würde unter der "Knechtschaft" der SPD leiden
Trotz klarer Mehrheitsverhältnisse fühle sich die Union in der Koalition dominiert. Lisa Caspari zitiert einen Abgeordneten: "Man dürfe sich nicht zum Knecht der SPD machen."
### Merz würde Führung versprechen, aber interne Widerstände ignorieren
Der Kanzler entscheide im Alleingang und vernachlässige die Fraktionsarbeit. Tina Hildebrands Portrait zufolge treffe Merz "Entscheidungen vor allen Dingen erstmal in seinem Kopf".
### Die europäische Außenpolitik würde zur Show ohne Substanz verkommen
Die Treffen mit Trump würden nur Bilder produzieren, ohne konkrete Ergebnisse. Die Hosts fragen: "Worüber reden wir hier eigentlich?" wenn Sicherheitsgarantien der Ukraine "mit Waffen, die die Europäer nicht haben und Soldaten, die wir nicht rekrutiert bekommen" ausgestattet werden sollen.
## Einordnung
Die drei ZEIT-Journalist:innen liefern eine durchaus kritische Bestandsaufnahme der jungen Merz-Regierung, ohne dabei in plumpe Regierungskritik zu verfallen. Besonders bemerkenswert ist ihre Selbstreflexion: Sie hinterfragen nicht nur die Politik, sondern auch die eigene Berichterstattung, wenn sie fragen, ob hinter der Trump-Show tatsächlich Politik stattfindet oder ob die Inszenierung bereits die Politik selbst ist. Die Diskussion bleibt dabei stets sachlich und faktenbasiert - selbst wenn die Hosts zugeben, dass sie die neue politische Realität noch nicht ganz begreifen. Das Format funktioniert als journalistische Selbstvergewisserung in Zeiten, in denen die alten politischen Kategorien anscheinend nicht mehr greifen. Die ehrliche Einsicht, dass auch sie selbst "humpeln" und hinter der Entwicklung herhinken, macht den Podcast authentisch und hörenswert.