The Lawfare Podcast: Lawfare Daily: ‘38 Londres Street,’ Impunity, and Immunity with Philippe Sands
Lawfare-Gastgeber Tyler McBrien spricht mit Juraprofessor Philippe Sands über sein Buch „38 Londres Street“, das die Verbindung zwischen Pinochet und Nazi-Verbrecher Walther Rauff aufdeckt und die brisante Frage von Staatschef-Immunität bis zur US-Supreme-Court-Entscheidung 2024 verfolgt.
The Lawfare Podcast
77 min read3842 min audioIm Podcast "The Lawfare" spricht Tyler McBrien mit dem Juraprofessor Philippe Sands über sein neues Buch „38 Londres Street“, das die Verbindung zwischen dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet und dem Nazi-Kriegsverbrecher Walther Rauff untersucht. Sands erzählt, wie er durch persönliche Verbindungen und Zufälle ein Netz aus Verbrechen, Flucht, Impunität und juristischer Aufarbeitung entdeckt – von Lemberg über Nürnberg bis nach London und Santiago. Er schildert, wie Pinochets Verhaftung in London 1998 durch einen spanischen Haftbefehl revolutionär war: Zum ersten Mal musste ein ehemaliger Staatschef vor einem nationalen Gericht für internationale Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Die House-of-Lords-Entscheidung leitete eine neue Ära im Völkerstrafrecht ein, indem sie Immunität für Folter nach 1988 verweigerte – mit weitreichender Signalwirkung. Sands zeigt auf, wie persönliche Schicksale, zufällige Begegnungen und juristische Präzedenzfälle zusammenhängen – etwa dass Rauff Pinochet persönlich kannte und möglicherweise bei Menschenrechtsverbrechen half. Er reflektiert auch kritisch über die US-amerikanische Supreme-Court-Entscheidung zu Präsidentenimmunität von 2024, die nach seinem Dafürhalten die internationale Strafrechtstradition gefährde, die seit Nürnberg auf dem Prinzip „Keine Immunität für Kernverbrechen“ beruht. Die Sendung bietet keine neue Analyse politischer Inhalte, sondern eine anschauliche, narrative Aufarbeitung historischer und juristischer Zusammenhänge – mit hohem Erkenntniswert, aber ohne journalistische Gegenrede oder alternative Perspektiven.
### 1. Pinochets Verhaftung 1998 war ein Paukenschlag im Völkerstrafrecht
Noch nie war ein früherer Staatschef in einem Drittland wegen internationaler Verbrechen festgenommen worden; das House-of-Lords-Urteil leitete eine neue Ära der Haftung für Folter und Kriegsverbrechen ein.
### 2. Walther Rauff lebte ungestört in Chile – und kannte Pinochet persönlich
Der Organisator der NS-Gaswagen floh 1958 nach Chile, wurde 1963 wegen Verjährung nicht ausgeliefert und pflegte seitdem freundschaftlichen Kontakt zum späteren Diktator.
### 3. Immunität für Folter besteht seit 1988 nicht mehr
Die Lords entschieden: Weil das Folter-Übereinkommen schweigt und Verfolgung oder Auslieferung vorschreibt, genießt ein Ex-Staatschef ab Inkrafttreten (Dezember 1988) keine Immunität – allerdings nur für Taten danach.
### 4. Die britische Regierung steuerte heimlich Richtung Weiterverfahren in Chile
Ein Deal zwischen London und Santiago sicherte Pinochets Rückkehr – gegen Zusage, dass Chiles Gerichte seine Immunität aufheben; ein bisher unveröffentlichtes Dokument mit Pinochets Unterschrift zu Morden diente als Garantie.
### 5. Die US-Supreme-Court-Immunitätsregel von 2024 steht im Gegensatz zu Nürnberg
Sands sieht die Entscheidung, einem Ex-Präsidenten weitere Immunität zuzugestehen, als gefährlichen Rückschritt: „Immunität ist kein überholtes Relikt“ – Robert Jacksons 1945er Brief könnte heute anders lauten.
## Einordnung
Der Podcast ist kein klassisches Interview, sondern ein längeres, sehr persönlich gefärbtes Erzählgespräch. Sands führt die Hörer:innen durch ein Mosaik aus historischen Zufällen, juristischen Wendungen und familiären Verstrickungen; durch seine elegische Erzählweise wirken viele Ereignisse wie ein Thriller, ohne dass Moderator McBrien mit kritischen Nachfragen oder Gegenpositionen interveniert. Die Show verzichtet auf Expert:innenkontraste oder chilenische, spanische oder deutsche Stimmen, sodass westlich-akademische Deutungshoheit entsteht. Gleichzeitig liefert Sands glaubwürdige Fakten und Dokumente, ohne Verschwörungstheorien zu bemühen; Rechtsextreme Inhalte oder Esoterik sind nicht erkennbar. Die gesellschaftliche Relevanz liegt in der Brisanz: Wer Immunität für Staatsoberhäupter fürchtet, kann an Pinochets Fall die Folgen abschwächer Justiz studieren – und an der US-Entscheidung von 2024 die mögliche Renaissance strafrechtlicher Sonderrechte. Die Sendung ist informativ, aber wer eine ausgewogene oder außerhalb des angelsächsischen Raums verankerte Perspektive sucht, wird sie nicht finden.
Hörempfehlung: Ja – für alle, die sich für Völkerstrafrecht, Geschichte südamerikanischer Diktaturen und die aktuelle Debatte um Präsidentenimmunität interessieren; spannend erzählt, wenn auch einseitig moderiert.