Was jetzt?: Spezial zu 10 Jahren "Wir schaffen das": Die Geschichte von Sami und Dave
Zwei Menschen blicken zurück auf den historischen Sommer 2015 und die Frage, ob Deutschland es wirklich geschafft hat.
Was jetzt?
62 min read2574 min audioDer ZEIT-Podcast "Was jetzt?" wirft in dieser 42-minütigen Spezialfolge einen differenzierten Blick zurück auf die Flüchtlingspolitik von 2015. Moderator Leonard Frick führt zwei Zeitzeugen: Dave Schmidtke, damals Flüchtlingshelfer in Chemnitz, und Sami Alwarar, der als junger Iraker nach Merkels "Wir schaffen das" nach Deutschland kam. Beide erzählen persönlich und nah von Hoffnung, Überforderung, rassistischer Gewalt und gelungener Integration. Die Sendung zeigt, wie sich die öffentliche Stimmung von Willkommenskultur zu Ablehnung wandelte – und wie sehr diese Wende bis heute nachhallt.
### 1. Merkels Satz erreichte weltweit Geflüchtete
Als Angela Merkel am 31. August 2015 "Wir schaffen das" sagte, hörten es auch Menschen im algerischen Flüchtlingslager El Ayun. Dave berichtet: "Die Leute meinten: ‚Bei euch in Deutschland hat Frau Merkel jetzt alle aufgenommen, das ist ja super, Mensch, du kannst richtig stolz auf dein Land sein.‘"
### 2. Ehrenamtliche waren schnell überfordert
Nach seiner Rückkehr aus der Sahara betreute Dave zeitweise "über 250 Leute im Monat". Das Sozialamt verteilte neue Geflüchtete in Innenhöfen: "Dort standen 200 Leute, mit Zettel in der Hand, vier, fünf Familien gleichzeitig."
### 3. Sami kämpfte mit bürokratischen Hürden
Obwohl Sami eine Ausbildungsstelle in Nürnberg fand, durfte er seinen Wohnsitz nicht wechseln. Er musste zwei Mieten und zwei Jobs stemmen: "Mit einem Azubi-Gehalt ist das unmöglich." Erst ein Richter, der ihn vor Gericht aufweckte, entschied anders.
### 4. Gewalt und Hass nahmen zu
Nach den Übergriffen in der Silvesternacht Köln 2015 und dem Anschlag von Anis Amri 2016 stieg die Zahl rechter Straftaten. Dave erinnert sich: "Vorher waren es Stereotype, man dachte, man kann Gespräche führen – das hat dann gekippt."
### 5. Doppelte Maßstäbe bei neuen Flüchtlingswellen
Bei der Aufnahme ukrainischer Geflüchteter 2022 zeigte sich erneut Hilfsbereitschaft – aber selektiv. Dave beobachtete: "Das liegt natürlich auch daran, dass diese Menschen überwiegend weiß sind."
### 6. Ehemalige Geflüchtete fordern heute restriktivere Politik
Sami, inzwischen Krankenhaus-Stationsleiter und deutscher Staatsbürger, sagt: "Deutschland muss sich zuerst um die eigenen Menschen kümmern, bevor sie mehr Geflüchtete aufnimmt."
## Einordnung
Die ZEIT-Folge gelingt eine journalistisch souveräne Balance zwischen persönlichem Schicksal und gesellschaftlicher Analyse. Frick führt die beiden Protagonisten nicht als Projektionsflächen, sondern als komplexe Akteure, deren Perspektiven sich wandeln. Besonders bemerkenswert: Die Sendung vermeidet es, die Flüchtlingspolitik auf einen einfachen Erfolg oder Misserfolg zu reduzieren. Stattdessen zeigt sie, wie sich gesellschaftliche Deutungsmacht verschiebt – von der Willkommenskultur 2015 bis zum heutigen Rechtsruck. Dass auch Sami heute restriktivere Positionen vertritt, wird nicht als Widerspruch, sondern als Teil des gesellschaftlichen Lernprozesses präsentiert. Die fehlenden Expertinnenstimmen – etwa von Geflüchtetenfrauen oder Menschen, die keine Ausbildung fanden – bleiben unkommentiert. Dennoch: Die Folge liefert eine differenzierte Bestandsaufnahme, die ohne erhobenen Zeigefinger auskommt.
Hörempfehlung: Wer sich für die persönlichen Geschichten hinter den großen Schlagzeilen interessiert, bekommt hier eine eindringliche, aber nie moralisierende Erzählung.