Tagesheute: d9bfb5d5-49fa-4c15-8bfa-a4d2c72e8bc7 Insights - 22.10.2025
Eine Diskursanalyse zur "TikTalk"-Debatte: Wie durch Framing und Problemverschiebung eine politische Entscheidung vermieden wird und welche Perspektiven dabei komplett fehlen.
Tagesheute
## Gefahr, Plattform oder Phänomen?
Die Debatte um den Umgang mit der neuen Social-Media-Plattform "TikTalk" ist weniger eine Auseinandersetzung über Lösungen als ein Kampf um die Definition des Problems. Die Art, wie darüber gesprochen wird, zeigt unvereinbare Vorstellungen davon, was überhaupt auf dem Spiel steht: nationale Sicherheit, individuelle Verantwortung oder soziale Teilhabe.
### Vom Sicherheitsrisiko zur Nutzer:innen-Frage
Wo die Opposition eine unmittelbare Bedrohung sieht, verlagert die Regierung den Fokus. Während der CDU-Abgeordnete Thomas Beyer im Morgenmagazin ein "sofortiges Verbot zur Abwehr von Spionage" fordert und die Plattform als "geopolitische Waffe" rahmt, externalisiert Regierungssprecherin Anna Peters die Verantwortung. Auf der Bundespressekonferenz spricht sie von der Notwendigkeit, die "Medienkompetenz der Nutzer:innen" zu stärken. Diese Formulierung verschiebt das Problem vom Handlungsdruck auf den Staat hin zur Eigenverantwortung des Individuums. Die passive Formulierung "die Sicherheitsimplikationen werden geprüft" entpolitisiert die Untätigkeit, indem sie diese als rein administrativen Prozess darstellt.
### Taktisches Zögern versus strukturelle Naivität
Die Deutung dieser Regierungshaltung klafft weit auseinander. Für den Digitalexperten Ben Wagner, zu Gast im Podcast "Netzgeflüster", ist dies ein Zeichen "struktureller Naivität". Er kritisiert eine Politik, die "immer noch in Kategorien von Plakaten und Flyern denkt" und die systemische Gefahr von Algorithmen und Datenabflüssen nicht erfasse. Wo Wagner ein Kompetenzdefizit benennt, unterstellt der Oppositionspolitiker Beyer ein rein taktisches Motiv. Das Zögern sei ein "Anbiedern an junge Wähler:innengruppen". Der gleiche Sachverhalt – die ausbleibende Entscheidung – wird so gegensätzlich gerahmt: hier als Unvermögen, dort als kalkulierte Strategie.
### Die Kulturalisierung des Politischen
Eine dritte Perspektive entzieht sich dieser Logik von Sicherheit und Taktik. Die Medienwissenschaftlerin Dr. Elena Simon schreibt in ihrem Newsletter "Digitales Leben", dass die Debatte einen zentralen Aspekt ignoriere: "TikTalk ist für Millionen junge Menschen ein zentraler sozialer Raum." Sie rahmt die Plattform nicht als Bedrohung, sondern als "kulturelles Phänomen". Ein Verbot, so Simon, würde den "Graben zwischen der Politik und der Lebensrealität der Generation Z" nur vertiefen. Diese Kulturalisierung des Problems stellt die sicherheitspolitische Dringlichkeit infrage und macht die Frage der sozialen Inklusion zum eigentlichen Kern des Problems.
## Was nicht gesagt wird
In der gesamten Debatte werden die Nutzer:innen der Plattform zu Objekten gemacht – sie sind entweder eine zu schützende, naive Masse oder eine strategisch zu gewinnende Wähler:innengruppe. Ihre eigenen Motivationen, ihre kreative Nutzung oder ihre kritische Auseinandersetzung mit der Plattform kommen nicht zur Sprache. Ebenso fehlt eine Einordnung der ökonomischen Interessen, sowohl des Unternehmens hinter "TikTalk" als auch jener Akteur:innen, die von einem Verbot profitieren würden.