Insight: Artifical Intelligence: Algorithmische Entscheidungen, Automatisierung, Plattform-Kapitalismus, Datenökonomie, Digitale Souveränität, Technologische Abhängigkeit, Arbeit und Automatisierung,Demokratie und Algorithmen, Überwachung und Kontrolle Insights - 16.9.2025
Analyse: Wie Algorithmen Macht verteilen – von der Ohnmacht im VW-Werk bis zur radikalen Forderung nach einem neuen Wirtschaftssystem, das nicht mehr auf reiner Effizienz basiert.
Insight: Artifical Intelligence
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"title": "Digitale Macht: Zwischen Kontrolle und Kollaps",
"introduction": "Der Diskurs über algorithmische Macht bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen pragmatischen Regulierungsversuchen und einer fundamentalen Infragestellung des Systems. Während staatliche Akteure versuchen, digitale Souveränität zurückzugewinnen, argumentieren radikale Kritiker, dass das Problem nicht die Technologie, sondern die kapitalistische Logik ist, die sie antreibt.",
"body": "#### Die ambivalente Rolle des Staates\n\nIm Ringen um die Gestaltung der digitalen Gesellschaft positioniert sich der Staat als ambivalenter Akteur. Einerseits versucht er, durch Initiativen wie den Supercomputer ‘Jupiter’ oder ‘Buy European’-Klauseln bei Ausschreibungen technologische Souveränität zu erlangen – “Supercomputer in Jülich - Das kann ‘Jupiter’ für den KI-Standort Deutschland bringen” (Breitband, 13.9.25), – “Digitalminister Wildberger im Interview: \"Müssen digitale Souveränität parallel entwickeln\"” (c’t uplink, 12.9.25). Andererseits offenbaren interne Machtkämpfe, wie die Debatte um die Zuständigkeit für die KI-Aufsicht zwischen Datenschutzbehörden und der Bundesnetzagentur, die Zerrissenheit und politische Instrumentalisierung staatlicher Kontrolle – (“Supercomputer in Jülich”). Einen Gegenentwurf präsentiert die Debatte um die Schweizer E-ID, in der der Staat als Ermächtiger der Bürger:innen gegenüber datenhungrigen Konzernen dargestellt wird, indem er Werkzeuge für mehr Datensparsamkeit bereitstellt – “Spezial: «Die E-ID ist ein riesiger Fortschritt.»” (Bern einfach, 13.9.25). Die Machtfrage bleibt offen: Ist der Staat ein Bollwerk gegen Konzernmacht oder selbst ein Akteur, dessen Souveränitätsanspruch hinter der Realität technologischer Abhängigkeiten zurückbleibt?\n\n#### Das strukturelle Versagen der Selbstregulierung\n\nDie Debatte um KI-Sicherheit entlarvt die Grenzen marktbasierter Lösungen. Die Einsicht, dass Investitionen in Sicherheit im Wettbewerb der KI-Labore als Nachteil gelten, weil sie die Entwicklung verlangsamen, offenbart ein strukturelles Dilemma – “Scaling Laws: The State of AI Safety with Steven Adler” (The Lawfare Podcast, 12.9.25). Unternehmen agieren rational, indem sie Sicherheit nur “so viel wie nötig und billig” umsetzen. Dieser “bedauerliche Wettlauf” macht staatliche Regulierung und internationale Abkommen, etwa zwischen den USA und China, zu einer Notwendigkeit, um katastrophale Risiken wie den Diebstahl von Modell-Parametern durch staatliche Akteure zu minimieren (The Lawfare Podcast). Die Macht liegt hier nicht bei den Entwicklern, sondern in einer Marktlogik, die gesamtgesellschaftliche Risiken systematisch externalisiert.\n\n#### Die menschlichen Kosten algorithmischer Steuerung\n\nAbseits der geopolitischen und regulatorischen Meta-Ebene zeigt sich die Macht der Algorithmen am konkreten menschlichen Schicksal. Die Beschreibung der Arbeitsrealität im VW-Werk Baunatal zeichnet ein Bild der totalen Entfremdung durch tayloristische Taktzeiten und eine “innere Vermarktlichung”, die Beschäftigte zu einer reinen “Verschiebemasse” degradiert – “#18: Autoindustrie: Wenn Menschen nur noch Zahlen sind” (Armutszeugnis, 11.9.25). Die Transformation zur E-Mobilität verstärkt diese Ohnmachtserfahrung, da erworbenes Wissen entwertet wird. Bemerkenswert ist die direkte Verbindung dieser betrieblichen Erfahrung von Kontrollverlust mit dem politischen Rechtsruck: Die gefühlte Demütigung wird zum Nährboden für rechte Betriebsratslisten, die als Einzige den Konflikt zu benennen scheinen (Armutszeugnis). Hier wird Macht nicht nur neu verteilt, sondern ihre Abwesenheit wird zu einer zerstörerischen politischen Kraft.\n\n#### Die radikale Kritik: Ist der Kapitalismus selbst das Problem?\n\nEine grundlegend andere Perspektive auf die Machtfrage liefert die radikale Kapitalismuskritik. Statt nur die Auswüchse der Technologie zu regulieren, wird das Betriebssystem selbst infrage gestellt. Jason W. Moore erklärt den Kapitalismus provokant für beendet (“Put a fork in it, capitalism is done”) und fordert eine “proletarische Wissenschaft”, die die Arbeit von Ökosystemen in ökonomische Kalküle einbezieht, um eine wirklich demokratische Planung zu ermöglichen – “S03E47 - Jason W. Moore on Socialism in the Web of Life” (Future Histories, 14.9.25). Ähnlich argumentiert Aaron Benanav, der eine “multi-kriteriale Ökonomie” vorschlägt, die nicht auf Effizienz, sondern auf Ziele wie Nachhaltigkeit und gute Arbeit ausgerichtet ist – “A New Economy Will Deliver Better Technology w/ Aaron Benanav” (Tech Won't Save Us, 11.9.25). Diese Perspektiven verschieben den Fokus von der Frage, wie wir Algorithmen kontrollieren, zu der Frage, welchen Zielen Technologie in einer post-kapitalistischen Gesellschaft dienen sollte.\n\n#### Meta-Ebene: Wenn Kritik zum Spektakel wird\n\nDie Analyse des Films “Network” (1976) bietet eine beunruhigende Meta-Reflexion über den Diskurs selbst. Der Film zeigt, wie eine von Quotenlogik getriebene Medienwelt jede Form von politischer Kritik und sogar Wut in ein konsumierbares Spektakel verwandelt und so neutralisiert – “Ep. 233: Die Macht der Medien und Konzerne: NETWORK - Kritik & Analyse zu Sidney Lumets Klassiker” (Die Filmanalyse, 11.9.25). Die Einschaltquote wird als ökonomisches Steuerungsinstrument entlarvt, das Bürger:innen zu passiven Konsument:innen degradiert. Dies wirft die Frage auf, ob die aktuelle Debatte über algorithmische Macht – geführt in Podcasts, Newslettern und auf Plattformen – nicht selbst Teil jenes Systems ist, das sie zu kritisieren vorgibt, und ob die Empörung über Machtkonzentration am Ende nur eine weitere Form der Unterhaltung ist."
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